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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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ausgestattet habe, der bei diesem Eingriff (bei der Bestandsaufnahme der Erinnerungen) leider verstorben sei. Der Kybernetiker ist sogar bereit, uns die sterbliche Hülle unseres Bekannten zum Zwecke der Untersuchung zugänglich zu machen. Nun interessiert uns der kriminelle Aspekt der Angelegenheit nicht so sehr wie der ontologische. Im ersten Falle ging es um eine Person, die in eine andere »umgeändert« wurde, aber die Erinnerung an ihre ursprüngliche Vergangenheit bewahrte. Im zweiten Falle geht es um eine völlig neue Person, die Herrn Smith in jeder Hinsicht »imitiert«, »ohne er zu sein«, denn Herr Smith ruht ja im Grabe.
       Wenn wir als Kriterium der Kontinuität die Ste tigkeit der individuellen Existenz wählen, ohne Rücksicht auf die vorgenommenen Änderungen (unter Berufung auf die »physiologischen Änderungen, die aus dem Säugling einen Einstein machen«), dann ist der erste (aus dem ersten Beispiel) der w ahre He rr Smith.
       Wenn wir als ein solches Kriterium die Unveränderlichkeit der Persönlichkeit wählen, dann ist der zweite Herr Smith der »wahre«. Der ursprüngliche hat nämlich mittlerweile »eine ganz andere Persönlichkeit«, er widmet sich dem Alpinismus, züchtet Kakteen, hat sich beim Konservatorium eingeschrieben und hält in Oxford Vorlesungen über natürliche Evolution, während der zweite weiterhin und unverändert Bankangestellter ist und »sich überhaupt in keiner Hinsicht verändert hat«.
       Das Problem der Identität oder Nichtidentität des Individuums erweist sich somit als relativ und abhängig von den gewählten Unterscheidungskriterien. Eine unter kybernetischem Aspekt primitive Zivilisation braucht sich zum Glück mit derartigen Paradoxa nicht herumzuschlagen. Eine Zivilisation dagegen, die bereits vollständig die Imitologie und die Phantomologie beherrscht (unter Einschluß, wie man jetzt schon sagen kann, der peripheren und der zentralen Phantomatik, der Phantoplikation, der Teletaxie und der Cerebromatik) und die sich gar der Pantokreatik voller Begeisterung widmet — eine solche Zivilisation muß Probleme aus dem Bereich der »Relativitätstheorie der Persönlichkeit« lösen. Absolut können die Lösungen nicht sein, da es absolute, invariante Kriterien nicht gibt. Dort, wo die Persönlichkeitsveränderung realisierbar ist, wird die Identität des Individuums aus einem Gegenstand der Untersuchung zu einem Gegenstand der Definition.

    Persönlichkeit und Information

    Norbert Wiener hat wohl als erster von der theoretischen Möglichkeit gesprochen, den Menschen »telegrafisch zu versenden«, ein ungewöhnliches Kommunikationsmittel, das sich als technische Anwendung aus der Kybernetik ergibt. Ist nicht, wenn man es genau nimmt, der Mensch — oder ein beliebiges materielles Objekt — eine Summe von Informationen, die man, verschlüsselt in der Sprache der Funk- oder Telegrafiesignale, über eine beliebige Entfernung verschicken kann? Man könnte mit Recht sagen, daß alles, was existiert, Information ist. Information ist das Buch genauso wie der Tonkrug, das Bild genauso wie die psychischen Phänomene, denn das Gedächtnis, diese Grundlage der Kontinuität des subjektiven Daseins, besteht in einer Informationsaufzeichnung im Gehirn, und ein Verwischen dieser Aufzeichnung infolge einer Verletzung oder einer Krankheit kann sämtliche Erinnerungen auslöschen. Die Imitologie bedeutet, daß wir, gestützt auf den erforderlichen Informationsbestand, Phänomene nachahmen. Wir behaupten natürlich nicht, daß es nur Information gibt. Wir können einen Tonkrug identifizieren, wenn wir ein vollständiges Protokoll der ihn (seine chemische Zusammensetzung, seine Topologie, seine Maße etc.) betreffenden Information besitzen. Dieses Protokoll oder, wenn man so will, »Signalement« ist mit dem Krug so sehr identisch, daß wir, auf diese Aufzeichnung gestützt, den Krug nachbilden können, und wenn wir nur über einen genügend präzisen Apparat verfügen (zum Beispiel einen atomaren Synthetisator), wird die so geschaffene »Kopie« durch keine Untersuchung mehr von dem Original zu unterscheiden sein. Verfahren wir analog etwa mit einem Gemälde Rembrandts, dann verwischt sich der im üblichen Sinne verstandene Unterschied zwischen »Kopie« und »Original« ganz und gar, da das eine vom anderen nicht zu unterscheiden sein wird. Ein solches Verfahren setzt voraus, daß die von dem Krug, dem Bild oder irgendeinem anderen Objekt verkörperte Information
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