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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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codiert und im atomaren Synthetisator wieder decodiert wird. Das Mittelglied dieses Verfahrens, also jenes Stadium, in dem es den Originalkrug nicht mehr gibt (weil er beispielsweise zerbrach), sondern lediglich sein »atomares Signalement«, ist natürlich in materieller Hinsicht nicht mit dem Urbild identisch. Das Protokoll kann auf Papier verzeichnet sein, es kann in einer Reihe von im Elektronenrechner aufgezeichneten Impulsen bestehen usw., so daß natürlich jegliche materielle Ähnlichkeit zwischen diesem System von Zeichen und dem Krug bzw. dem Bild fehlt. Gleichwohl besteht eine wechselseitig eindeutige Entsprechung zwisehen sämtlichen Zeichen dieser Menge und dem Originalobjekt, und genau sie ermöglicht die vollkommene Rekonstruktion.
       Wenn wir Napoleon (wir gehen davon aus, daß sein »atomares Signalement« sich in unserem Besitz befindet) aus Atomen synthetisieren, dann wird Napoleon leben. Und wenn wir von einem x-beliebigen Menschen ein solches Signalement aufnehmen und es per Telegraf an einen Empfänger übermittein, dem eine Apparatur angeschlossen ist, die aufgrund der eingegangenen Information den Körper und das Gehirn dieses Menschen aufbaut, dann wird er gesund und munter aus dem Apparat hervortreten.
       Die Frage, ob ein solcher Plan technisch realisierbar sei, tritt in den Hintergrund angesichts seiner ungewöhnlichen Konsequenzen. Was geschieht, wenn wir das »atomare Signalement« nicht einmal, sondern zweimal abschicken? Aus dem Empfangsapparat werden zwei identische Menschen hervortreten. Und wenn wir diese Information nicht per Draht nur in eine Richtung schicken, sondern als Radiowelle ausstrahlen, und wenn die Empfänger sich an tausend Stellen unseres Globus, aber auch auf zahlreichen Planeten und Monden befinden, wird der »gesendete« Mensch an all diesen Orten auftreten. Wir haben das Signalement von Herrn Smith nur einmal abgesendet, und nun erscheint Smith, aus den Kabinen der Apparate hervortretend, in millionenfacher Gestalt auf Erden und im Himmel, in den Städten und auf Berggipfeln, in den Dschungeln und Mondkratern.
       Kurios ist das nur, solange wir nicht fragen, wo währenddessen Herr Smith eigentlich bleibt. Wohin hat ihn die telegrafisch unternommene Reise geführt? Da die aus den Empfangsgeräten kommenden Personen ex definitione absolut identisch sind und sich allesamt als Herr Smith bezeichnen, ist es klar, daß wir nichts herausbekommen werden, auch wenn wir sie noch so genau untersuchen oder aushorchen. Logisch betrachtet, kann es nur eine der zwei Möglichkeiten geben: entweder sind all diese Personen zugleich Herr Smith oder keine von ihnen. Aber wie ist es möglich, daß Herr Smith an hundert Millionen Stellen gleichzeitig existiert? Seine Persönlichkeit sei »vervielfältigt« worden? Wie soll man das verstehen? Ein Mensch kann hier- oder dorthin gehen, er kann eine bestimmte Realität erleben, aber jeweils nur eine. Wenn Herr Smith am Schreibtisch sitzt, kann er sich nicht gleichzeitig im Krater des Erastothenes, auf der Venus, auf dem Grunde des Ozeans und vor dem Rachen eines Nilkrokodils befinden. Die durchtelegrafierten Personen sind gewöhnliche, normale Menschen. Es ist daher ausgeschlossen, daß irgendein rätselhaftes psychisches Band sie zu einer Einheit verbindet und bewirkt, daß sie all die erwähnten und ähnliche Dinge gleichzeitig erleben.
    Angenommen, ein Krokodil habe einen der Smiths, den, der an den Nil gereist war, verschlungen. Wer ist umgekommen? Smith. Aber gleichzeitig soll er doch weiterleben, an unzähligen Orten zugleich? Was sämtliche Smiths miteinander verbindet, ist nur eine außergewöhnliche Ähnlichkeit, die jedoch überhaupt keinen Zusammenhang in irgendeinem physischen oder psychischen Sinne bedeutet. Auch eineiige Zwillinge sind einander ähnlich und dabei psychisch voneinander unabhängig. Jeder der Zwillinge stellt eine autonome, vollständige Persönlichkeit dar, und jeder erlebt ausschließlich sein eigenes Schicksal. Und dasselbe gilt für die Millionen telegrafierten Smiths. Es handelt sich dabei um eine Million verschiedener, weil voneinander völlig unabhängiger psychischer Subjekte.
       Dieses Paradoxon scheint unauflösbar zu sein. Wir sehen kein Experiment, mit dessen Hilfe sich entscheiden ließe, wo sich die Fortsetzung jenes Smith aufhält, den wir telegrafisch abgeschickt haben. Versuchen wir aber, an das Problem anders heranzugehen. Es gibt ein aus der Psychiatrie bekanntes Phänomen,

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