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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Stunden zuvor mit Max. Vielleicht machten zwei solche Erfahrungen die Wirkung der Pille zunichte, minus mal minus ergab plus, aber vielleicht bedeutete es auch, daß sie von beiden schwanger war – und deshalb eigentlich von keinem von beiden. War es das? Sollte sie davon ausgehen? War sie schwanger von der Freundschaft zwischen den beiden? »Jetzt bekommst du schließlich recht mit deinem Verwendungszweck für unser kleines Nebenzimmer«, sagte sie. Er nickte, obwohl das niemand sehen konnte. »Es ist tatsächlich das beste, in Notsituationen praktisch zu denken. Wir müssen eine Wiege kaufen, und einen Laufstall, und eine Rassel. Das wird uns noch ganz ordentlich in Unkosten stürzen. Später wünscht sie sich dann bestimmt eine Stereoanlage. Es ist zu schrecklich. Was werden deine Eltern sagen?«
    »Die werden es wunderbar finden. Mein Vater auf jeden Fall.«
    »Warum nicht deine Mutter?«
    »Meine Mutter ist verrückt.«
    »Du traust dich was! Seit fünf Minuten bist du selbst so etwas wie eine Mutter, und schon wirst du übermütig. Warum sollte deine Mutter verrückt sein? Wenn du mich fragst, ist deine Mutter überhaupt nicht verrückt. Meine Mutter ist verrückt.«
    »Ich kenne deine Mutter nicht.«
    »Aber ich kenne deine.«
    »Das meinst du bloß. Soll ich dir mal etwas über meine Mutter erzählen?«
    »Kommt drauf an. Nicht, wenn es mich in Verlegenheit bringt, wenn ich ihr bei unserer märchenhaften Hochzeit unter die Augen trete.«
    »Ich habe es noch nie jemandem erzählt.«
    »Auch Max nicht?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Der hat sich nie wirklich für mich interessiert.«
    Wenn im Zimmer Licht gewesen wäre, hätte sie es vielleicht auch Onno nicht erzählt; aber in der Dunkelheit schwand das Bewußtsein, wo der Rest der Welt anfing. Sie hatten, erzählte Ada, im Zimmer hinter dem Buchladen zu Abend gegessen, Koteletts mit Kartoffeln und Gemüse; ihr Vater hatte erzählt, daß er als Junge einen Freund gehabt hatte, der ein großer Chemiker werden wollte und dem er bei der Vorbereitung von Versuchen helfen durfte. Auf dem Dachboden hatte er ein Labor, las populäre Biographien großer Chemiker wie Lavoisier und Dalton und Liebig und bekam zum Geburtstag einen richtigen weißen Laborkittel mit Stehkragen geschenkt. Seine Eltern hatten in ihrem Schlafzimmer einen Kleiderschrank mit einem hohen Spiegel in einer der Türen, in dem man sich sofort sah, wenn man hereinkam. Wenn sie nicht zu Hause waren, ging er ab und zu in seinem beeindruckenden Kittel in ihr Schlafzimmer hinunter, wo er dann hektisch und mit ausgestreckter Hand auf sich selbst zuging – wie der große Chemiker, der sich für einen Besucher, der extra aus dem fernen Amerika gekommen war, um den großen Nobelpreisträger zu konsultieren, kurzfristig und für eine Minute hatte freimachen können. »Und? Ist er ein großer Chemiker geworden?« hatte Ada gefragt. »Das nicht. Aber ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er ist jetzt Abteilungsleiter bei Philips und fährt in einem Auto mit Chauffeur herum. Es ist alles eine Frage der Mentalität.«
    »Genau«, hatte daraufh in ihre Mutter gesagt. »Da siehst du mal, wie weit du es mit deiner Mentalität gebracht hast. Zuerst zu einem mickrigen Museumswärter, und dann zu einem noch mickrigeren Händler für verstaubte Bücher, die allesamt nach Gruft stinken.«
    Brons sah seine Frau an, als hätte er einen Peitschenhieb bekommen, und als Ada seinen Blick sah, ließ sie ihr Besteck fallen und ging auf ihre Mutter los. Sie packte sie an den Handgelenken und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand. »Entschuldige dich!« hatte sie geschrien. »Entschuldige dich sofort!«
    Für einen Moment hatte sich ein Spalt aufgetan, sagte sie, durch den der wahre Zustand dieser Ehe sichtbar geworden war. Ihr Vater spielte noch immer dieselbe Rolle wie bei seinem Freund, dem großen Chemiker. »Wenn du mich fragst, ist sie lesbisch, aber sie selbst hat davon natürlich keine Ahnung.«
    »O Greuel, o Graus!« rief Onno und zog die Decke bis ans Kinn. »Du hast es gewagt, meiner Tochter Großmutter an die Wand zu stellen! Und wie ging es aus?«
    »Sie sah mich an mit einem Blick, als ob sie mich am liebsten erdolcht hätte. Mein Vater ging dazwischen und ich auf mein Zimmer, und später wurde nie mehr darüber gesprochen. Ich denke, daß sie sich eingeredet hat, es sei nie passiert.«
    »Dann verfügt sie über eine beneidenswerte Fähigkeit, mit der man sehr alt werden kann.«
    Draußen herrschte über dem

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