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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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meine? Was ist denn mit dir los? Du bist blaß, mein Freund.«
    Max merkte, daß er dabei war, in Panik zu geraten. »Ich bin geschockt«, sagte er, während er die Gläser hinstellte. »Nimm es mir nicht übel. Vielleicht, weil ich selbst manchmal an ein Kind gedacht habe, als ich mit Ada zusammen war, und daß das nun für immer erledigt ist.«
    Er ging in die Küche. Auch das war wieder gelogen – Onno würde es Ada erzählen, und sie würde wissen, daß das nicht der Grund für seine Reaktion war, aber das würde sie für sich behalten. Mit zitternden Händen nahm er einen rauchenden Eiswürfelbehälter aus dem Gefrierfach, hielt ihn kurz unter den Wasserhahn und drückte die Würfel in eine Schüssel. Er mußte seine Gedanken ordnen, alles genau abwägen, sehen, was jetzt zu tun war, und zugleich mußte er zurück ins Zimmer und mit Onno ein Gespräch führen, das nicht von dem handeln würde, von dem es handelte. Er hatte eine Ruine gemacht aus dem Palast ihrer Freundschaft, der für Onno noch stand, weil er nicht wußte, daß er inzwischen zur Fata Morgana geworden war. »Das wußte ich ja gar nicht«, sagte Onno. »Was?«
    »Daß du mit Ada ein Kind hättest haben wollen.«
    »Das stimmt auch nicht ganz, aber sie war die einzige Frau in meinem Leben, bei der mir beim Gedanken an ein Kind nicht das kalte Grausen kam. Vergiß es. Es ist, wie es ist.«
    »Und wäre es anders, als es ist, wäre es ziemlich merkwürdig auf dieser Welt.«
    Er stellte Onno Rum und Cola hin, schenkte sich selbst ein Glas Wein ein und setzte sich ihm gegenüber. Er zwang sich, ihn anzusehen. »Hatte sie die Pille abgesetzt?«
    »Die Pille! Hör bloß auf mit der Pille. Sie hätte genausogut jeden Tag eine Erdnuß schlucken können. Die medizinische Technologie steckt offenbar noch in den Kinderschuhen – genau wie mein Kind demnächst. Aber leid tut es mir nicht. Ich habe ganz anders reagiert, als ich dachte; von mir aus hätte ich bestimmt nie den Entschluß gefaßt, ein Kind in die Welt zu setzen, da das aber jetzt ohne mich von einem quacksalberischen Hersteller geregelt wurde, habe ich in mir den geborenen Vater entdeckt. Dieses warme, tiefväterliche Element in mir muß dir doch auch schon aufgefallen sein. Oder etwa nicht?«
    »Natürlich«, sagte Max, dem es schwerfiel, sich auf Onnos Ton einzulassen, der zwar unverändert war, für ihn aber bereits der Vergangenheit angehörte. Er nahm einen Schluck und sagte: »Wenn ich richtig rechne, ist es also auf Kuba passiert.«
    »In Havanna, im Hauptquartier der Revolution, in der Nacht vom achten auf den neunten Oktober, neunzehnhundertsiebenundsechzig nach Christus, um etwa zwei Uhr morgens. An dem Sonntag, als ihr zum Strand gefahren seid. Ich war leider verhindert, wegen religiösphänomenologischer Feldforschung.«
    Sie sahen sich in die Augen. Max nickte; er wußte, daß Onno wußte, daß er sich jetzt an ihr Telefongespräch erinnerte, in dem er sich als »moralisches Wrack« und »nekrophil« bezeichnet hatte. Was auch immer geschehen sein mochte, sicher war, daß Ada – nach dem, was zwischen ihr und ihm, Max, vorgefallen war – Onno in dieser Nacht verführt hatte: deshalb hatte sie bei ihm statt in ihrem Hotel übernachten wollen. Sie hatte, wie sich nun herausstellte, mit allem gerechnet. Wohlüberlegt hatte sie die Vaterschaft eines höchst unwahrscheinlichen, nicht aber unmöglichen Kindes ins Unsichere hineinmanövriert. Wie durchtrieben war sie eigentlich? So hatte er sie nie gekannt, und auch Onno nicht. Aber eines Tages würde dennoch die Stunde der Wahrheit schlagen, denn mit wem würde das Kind Ähnlichkeit haben? Erschrocken überließ er sich der Klärung dieser Frage. Wenn er selbst auch nur eine vage Ähnlichkeit mit Onno gehabt hätte, würde kein Mensch auf die Idee kommen, daß das Kind – vorausgesetzt es war tatsächlich von ihm – nicht von Onno wäre, aber was hatten Onno und er äußerlich denn schon gemein? Wie er da saß in dem grünen Chesterfield-Sessel, mit seinem großen, schweren Körper und seiner geraden, fast klassischen Nase, den gewölbten Lippen eines sittsamen, kleinen Mundes, der tatsächlich etwas von einer griechischen Statue hatte. Max’ Gesicht hingegen gehörte mit seiner Raubvogelnase und seinem gefräßigen Mund in kunsthistorischer Hinsicht eher in die Periode des Manierismus. So gesehen, würde sein Kopf besser zu Onnos Körper passen, und umgekehrt. Zum Glück waren sie beide dunkelblond mit blauen Augen. Nicht

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