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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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auszudenken, wenn einer von ihnen Chinese gewesen wäre, oder schwarz –. »Meine Tochter«, sagte Onno, »wird die Inkarnation der Revolution sein. Eine zweite Rosa Luxemburg – oder nein, so etwas wie die Frau auf dem Gemälde von Delacroix, La barri-
    cade, die mit entblößten Brüsten, einem Gewehr und der wehenden Tricolore die arbeitenden Massen anführt.«
    Natürlich, ein Mädchen, das konnte es auch werden, dann würde vielleicht Adas Anteil vorherrschen; am besten aber wäre es, wenn es gar nichts wurde. »Und du bist dir ganz sicher, daß du es haben willst?«
    »Im Grunde«, sagte Onno, und ließ die Eiswürfel im Glas klirren, »bin ich ein Befürworter der Abtreibung bis zum vierzigsten Lebensjahr und der Euthanasie ab dem vierzigsten. Ich werde mein Bestes tun, das ins Parteiprogramm aufnehmen zu lassen. Aber in diesem besonderen Fall möchte ich doch eine Ausnahme machen. Ich wußte, daß du auf eine Abtreibung anspielen würdest. Du wirst nie Kinder haben, weil du keinen Vater hast. Aber ich habe einen Vater, und das nicht zu knapp, und hier liegt meine Chance, ihm auf eigenem Terrain einen vernichtenden Schlag zu versetzen, denn bald bin ich ihm ebenbürtig, und dann braucht er mir nichts mehr zu erzählen. Ich werde mich selber abtreiben, ja! Den Sohn, der ich bin, wenn du verstehst, was ich meine. Ich werde mich wegmachen!« rief er mit einem verklärten Ausdruck in den Augen. Max wurde immer ratloser. Jedes Wort, das Onno sagte, hätte er früher genossen, aber jetzt war es, als müßte er an einem Sterbebett Champagner trinken. Er konnte so nicht weitermachen, es mußte etwas geschehen. Am liebsten hätte er Onno hinauskomplimentiert, um mit sich selbst beratschlagen zu können, aber er war gerade erst gekommen und würde noch Stunden bleiben, so lange, bis er den Status der Vaterschaft in die allerhöchsten Regionen hinaufgetrieben hatte, wo Gott der Herr wohnte, der ihm nun auch nichts mehr zu sagen hatte. »Und Ada? Wie soll es dann mit ihrer musikalischen Karriere weitergehen?«
    »Kein Problem, ich werde das Wochenbett hüten. Ja, du brauchst gar nicht so blöd zu schauen. In Schwarzafrika, wo der Kontakt zu den menschlichen Urquellen noch erhalten ist, ist das absolut üblich. Die werdende Mutter arbeitet in der sengenden Hitze singend auf dem Feld, und der werdende Vater liegt im Schatten der Hütte stöhnend auf seinem Lager. Die Entbindung ist eine Sache von Minuten, Ada wird wieder zum Cello greifen, und ich werde im Vondelpark den Kinderwagen vor mir herschieben, mich auf eine Bank setzen und mit einem pensionierten Beamten des Wohnungsbauamtes die alten Zeiten Revue passieren lassen, während ich mit einer Hand den Kinderwagen hin und her schaukle. Später werde ich mit dem Kleinkind zum Sandkasten spazieren und mit den jungen Müttern über wunde Popos und Waschmittel sprechen, während unsere Lieblinge versuchen, sich mit einem Stein gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Abends, wenn sich Ada im Concertgebouw in die tosenden Tiefen Mahlers stürzt, werde ich in Versuchung geraten, das schreiende Balg aus dem Fenster zu werfen, aber wenn es endlich schläft, werde ich es wieder wecken, weil ich Angst habe, es könnte vielleicht tot sein. Kurzum, ich werde völlig mit der schwachsinnigen Ewigkeit des Elementaren verschmelzen.«
    »Und die Politik?«
    »Davon bin ich dann auch entbunden. Während die Niederlande ohne mich ruderlos im Chaos versinken, werde ich zu der endgültigen philosophischen Einsicht gelangen, die nur wenigen vorbehalten ist: der Vater ist die Mutter!« Er nahm einen kräftigen Schluck und sagte: »Vielleicht werde ich auf die Dauer sogar Kleider tragen, und Ohrringe bis auf den Boden.«
    Max stand auf, um am Schreibtisch einige Unterlagen zu ordnen, die nicht besser geordnet werden konnten, und fragte:
    »Hast du vor zu heiraten?«
    »Ja, was dachtest du denn? Daß ich fortfahren würde, in Sünde zu leben? Es ist schon schlimm genug, daß unser Kind später einmal anfangen wird zu rechnen und nicht auf neun Monate zwischen Hochzeit und Geburt im Juli des nächsten Jahres kommt. Was soll es bloß von uns halten!«
    Die Erwähnung dieses Datums versetzte Max erneut einen Schock. Jetzt war November – die Zeit würde verstreichen, Woche für Woche, durch den Winter, durch den Frühling zum Sommer hin, bis unwiderruflich dieser eine Tag anbrechen würde. »Ja«, sagte er, während er nicht wußte, was er sagen sollte. »Und noch etwas«, fuhr Onno fort. »Heute

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