Die Entdeckung des Himmels
wo er stundenlang in der Badewanne gesessen und den Rest des Tages stöhnend und seufzend mit der spanischen Übersetzung der Briefe von Walther Rathenau an seine Mutter zugebracht hatte, mit einer zerfledderten alten Ausgabe, die der vorige Gast – irgendein anarchosyndikalistischer Radikalinski natürlich – in seinem Nachtschränkchen zurückgelassen hatte. Angewidert von sich selbst und zerquält von Schuldgefühlen war er früh zu Bett gegangen und hatte sich mit Gewalt in den Schlaf gezwungen; nach dem Telefongespräch mit Max war er erst wieder durch Ada aufgewacht, die zuerst in ihrem Hotel übernachten wollte, nun aber plötzlich unter sein Laken schlüpfte. Es war ihm vorgekommen, als ob sie von seiner Eskapade etwas geahnt hätte, sie nun aber mit einer Schicht Farbe über der Grundierung unsichtbar machen wollte. Allein das nahm ihm das Recht, eine Abtreibung zu verlangen – selbst wenn er es gewollt hätte. Auch für Ada neben ihm hatte sich die Dunkelheit des Zimmers mit diesem letzten Abend gefüllt. Sie hatte tatsächlich keinen Grund anzunehmen, daß sie von Max schwanger war; während der nächtlichen Autofahrt nach Havanna jedoch, als kaum ein Wort fiel, beschlich sie ein Gefühl der Unsicherheit, das sie nicht mehr los wurde. Sie war genau in dem Zeitraum, in dem sie fruchtbar wäre, wenn sie die Pille nicht nähme. Angenommen, der Pillendreher hatte gerade nicht aufgepaßt! Sie hatte einmal gelesen, daß das in soundsoviel Millionen Fällen einmal passierte, daß es exakt sie traf, würde ihr ähnlich sehen, ihr Leben lang hatte sie diese Art von Pech gehabt. Andererseits aber hoffte sie, daß es so sein würde, wie es war – nicht, weil es dann von Max wäre, sondern weil sie sich ein Kind wünschte; sie würde für ein paar Monate aus dem musikalischen Geschehen verschwinden, aber ihre Stelle würde ihr nicht verlorengehen. Es war vier oder fünf Tage her, daß sie mit Onno geschlafen hatte – sie waren beide keine solchen sexuellen Fanatiker wie Max –, und sollte das Schicksal sie getroffen haben, dann mußte auch er während ihrer fruchtbaren Tage mit ihr geschlafen haben. Nicht nur, damit auch der, mit dem sie weiterhin zusammenleben wollte, der Vater sein konnte, sondern auch, weil sie in diesem Fall selbst nicht wissen würde, wer von beiden der Vater war. Max könnte sie dann wahrheitsgemäß sagen, daß sie es wirklich nicht wüßte. Als sie am Habana Libre ausgestiegen war, hatte sie zu Max gesagt, daß sie ihre letzte Nacht bei Onno verbringen wolle, da sie ihn den ganzen Tag nicht gesehen habe, und da die meisten Delegierten noch in der Sierra Maestra waren, wurde sie auf Fürsprache von Guerra Guerra eingelassen. Max hatte ihr im zweiundzwanzigsten Stock Onnos Zimmer gezeigt, hatte sich plötzlich an den Kopf gegriffen und war in sein Zimmer verschwunden. Beide dachten sie an diese Nacht zurück, in der sie genau wie jetzt nebeneinander gelegen hatten. Ada hatte gesagt, sie habe sich den ganzen Tag nach ihm gesehnt, und wie es in der Kirche gewesen sei? Onno hatte gesagt, sehr interessant, überall heruntergekommene Bourgeoisie, und daß auch er sich nach ihr gesehnt habe. Nie zuvor hatten sie sich so innig umarmt, auch nicht beim ersten Mal, es war, als erführen sie erst in dieser Nacht die wirkliche, die wahre, die reine Liebe »In dieser Nacht ist es also passiert«, sagte Onno. »Ich erinnere mich noch ganz genau.«
»Ich auch.«
Ada wußte nicht, daß sich Onno im Dunkeln genauso schämte wie sie selbst, und Onno wußte es nicht von Ada. Vielleicht, dachte er, gedieh die wirkliche, die wahre, die reine Liebe wie alle Blumen am besten mit den Wurzeln in Dung und Schlamm. Vielleicht war das ein Gesetz des Lebens, das alles zusammenhielt: der Tag war nur Tag dank der Nacht. Aber wenn der Tag erst durch die Nacht zum Tag wurde, verbarg sich dann nicht die Nacht im Herzen des Tages? War dann der Tag eigentlich noch der wahre, reine Tag? Befand sich ein schwarzes Kuckucksei im Mittelpunkt der Sonne? Das Problem mußte er Max vorlegen. Wenn dem so war und die Reinheit folglich nicht existierte, dann lag der einzige Trost in dem Bewußtsein, daß auch die Nacht nicht reine Nacht war – und damit der Tod vielleicht auch nicht der absolute Tod. Wenn der Tod Teil des Lebens war, dann mußte auch das Leben Teil des Todes sein. »Ich hätte es wissen sollen«, sagte er, »daß es dieses Mal ein Kind werden würde.«
Ada hatte gespürt, daß etwas anders war, genau wie einige
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