Die Entdeckung des Himmels
abzulehnen, er saß in der Falle. Diese Woche noch, lieber morgen als übermorgen, mußte sich irgend etwas grundlegend ändern – aber was? Am liebsten hätte er Onno seinen Fehltritt gebeichtet, sich ihm zu Füßen geworfen, Onnos Fuß genommen, ihn sich auf den Nacken gesetzt und abgewartet, was weiter geschah. Oder sollte er es – feiger, aber genauer – schriftlich tun?
Er setzte sich an den Schreibtisch, nahm einen Bogen kariertes Papier, spitzte den Bleistift über dem Papierkorb und begann ohne große Überzeugung zu schreiben:
Lieber Onno ,
ich würde einige Jahre meines Lebens dafür geben, diesen Brief nicht schreiben zu müssen. Unsere Freundschaft, die neun Monate gedauert hat, war das Kostbarste, was ich je besaß. Ich weiß nicht einmal, ob ›Freundschaft ‹ eigentlich das richtige Wort ist. Viele Männer sind Freunde, ohne daß ich den Eindruck habe, daß das viel mit unserem Verhältnis zu tun hat; ich habe oft Freunde gehabt, aber das war immer etwas völlig anderes. Was war das zwischen uns, eine ›Seelenverwandtschaft ‹ vielleicht? Auch dieses Wort trifft wohl nicht den Kern, denn welche Seelen unterscheiden sich stärker voneinander als die unsrigen? Vielleicht, habe ich mir manchmal überlegt, sollten wir eher an die Affinität des Blitzes zur Erde denken, wobei manchmal ich der Blitz war, und dann wieder du. Ich kann nicht für dich sprechen, aber bis ich dir begegnete, fühlte ich mich tatsächlich oft wie eine Gewitterwolke, die sich nicht entladen konnte. Oder besser: nachdem ich dir begegnet war, wußte ich, daß ich mich so gefühlt habe. Es ist mir klar, daß das alles wie ein Liebesbrief klingt, und in gewisser Weise ist es das auch. Aber du bist natürlich der letzte, der nicht merkt, daß ich in diesem Brief oft den Imperfekt benutze. In einer Weise, die ich mir nie verzeihen werde, habe ich das Recht verspielt zu sagen, daß wir noch Freunde sind. Es ist mir fast unmöglich zu sagen, um was es geht; am liebsten würde ich bis zum Ende meiner Tage weiterschreiben, nur um es vor mir herzuschieben.
Onno! Das Kind, das Ada erwartet, ist vielleicht von mir.
Im gleichen Augenblick, in dem er den letzten Satz geschrieben hatte, wußte er, daß er den Brief nicht abschicken konnte. Er hatte nicht das Recht, in eigener Regie reinen Tisch zu machen, sozusagen hinter Adas Rücken, weil er ihr damit, wieder aus seiner eigenen Bequemlichkeit heraus, in gewisser Weise dasselbe antäte, was er Onno angetan hatte. Er war ihr ausgeliefert, ohne sie konnte er nichts unternehmen. Das einzige, was er jetzt tun mußte, war, mit ihr zu reden. Aber auch das mußte wiederum hinter Onnos Rücken passieren. Was er auch tat, es würde ihn immer tiefer in den Morast ziehen. Er mußte versuchen, sie dazu zu überreden, ihre Frucht abtreiben zu lassen. Wie er es auch drehte und wendete, es war alles gleichermaßen widerwärtig, aber nichts zu tun war genauso unmöglich. Wenn es ihm nicht gelang, sie zu überreden, würde sie vielleicht sagen, daß dann eben er sie in zwei Wochen heiraten und als Vater fungieren solle – mit der Chance von fünfzig Prozent, daß es Onnos Kind sein würde. Auch dann wäre es um die Freundschaft geschehen, aber wenn es so liefe, würde er dazu stehen und das Ganze eben als Fatum in seinem Leben akzeptieren. Und: Hätte er Ada an diesem Abend nicht verführt, hätte sie ihrerseits Onno nicht verführt – selbst wenn es also Onnos Kind war, würde es ohne ihn, Max, nicht existieren. Tief in seinem Inneren spürte er so etwas wie Zustimmung zu dem Gedanken, daß genaugenommen er ein Kind von Onno haben würde.
Aber was würde Onno in diesem Fall tun? Er freute sich auf sein Kind, bereitete seine Hochzeit vor und hatte inzwischen vielleicht schon mit seiner Familie gesprochen – und plötzlich würde ihm alles genommen. Undenkbar! Andererseits war es nicht ausgeschlossen, daß er dann ähnlich reagieren und bereit sein würde, ein Kind von ihm zu akzeptieren – unter Aufkündigung der Freundschaft. Nein, das war eher unwahrscheinlich. Es sei denn, Onno hatte an diesem Nachmittag in Havanna, als er selbst mit Ada nach Varadero gefahren war, tatsächlich mit einer Frau geschlafen. »Ich kann mir selbst nicht mehr unter die Augen treten. Ich bin ein moralisches Wrack. Ich habe ins Weihwasser gespuckt.« Dann wäre er in einer ähnlichen Situation und würde vielleicht argumentieren, daß ohne diese Eskapade nichts geschehen wäre und er dafür jetzt eben büßen
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