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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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der Himmel auf die Erde fallen würde, sie wollte das Kind unbedingt haben. Früher oder später würde sich alles irgendwie fügen, auch wenn das Kind von Max war – wenn es sein mußte, auf Kosten ihrer Ehe und Max’ und Onnos Freundschaft, das war alles zweitrangig. Vielleicht würde dann Max mit ihr weiterleben wollen, vielleicht nicht, vielleicht würde sie irgendwann allein dastehen, doch das war alles nicht so wichtig: wenn nur ihr Kind zur Welt käme. Es war ihr ein Rätsel, was die Ursache für diese Entschlossenheit war, die sie früher nur in bezug auf ihre musikalische Karriere gekannt hatte. Als vor kurzem eine weltberühmte Cellistin mit dem Orchester auftrat, im Konzert von Elgar mit einer Stradivari, hatte sie nicht einen Moment gedacht: Da würde eigentlich ich gerne sitzen. »Aber das ist doch irrational, Ada. Unzählige Frauen haben abtreiben lassen und danach noch Kinder bekommen.«
    Sie sah ihn an. »Wenn du so rational bist, warum sagst du dann Onno nicht einfach die Wahrheit?«
    Ratlos trank Max sein Glas aus. »Ich habe angefangen, ihm einen Brief zu schreiben, ihn dann aber zerrissen.«
    »Warum?«
    »Ich fand, daß ich das nicht ohne dein Wissen tun sollte.«
    »Jetzt weiß ich ja Bescheid.«
    »Denkst du, daß ich’s tun soll? Und welche Konsequenzen wird das für dich haben? Du hast es ihm doch auch nicht erzählt.«
    »Nein«, sagte Ada. »Und das nicht nur, weil ich fand, es nicht ohne dein Wissen tun zu können. Ich bin bereit, das Risiko einzugehen, Kopf oder Zahl. Wenn wir es ihm erzählen, ist so oder so alles kaputt.«
    »Es sei denn, wir heiraten.«
    Sie legte kurz eine Hand auf die seine und lächelte. »Auch dann. Dann geraten wir lediglich in einen neuen Pfuhl.«
    »Genau«, nickte Max. » Pfuhl – das ist das richtige Wort. Sumpf. Was wir auch tun, es wird immer schief. Selbst wenn wir nichts tun und es stellt sich heraus, daß es Onnos Kind ist, wird das Verhältnis zu ihm auf immer und ewig getrübt sein. Wie wenn man von jemandem weiß, daß er Krebs hat, und er selbst meint, gesund zu sein.«
    »Und das«, sagte Ada, »wird kein bißchen anders, wenn ich abtreiben lasse. Auch deshalb tue ich es nicht. Mein Kind ist die Ursache von allem, zugleich aber ist es der einzige Lichtblick. Irgendwann werden wir alle tot und unsere Probleme mit uns verschwunden sein, aber er wird noch irgendwo leben, und seine Kinder und Kindeskinder auch.«
    »Woher willst du wissen, daß es ein Junge wird?«
    Sie zuckte die Schultern. »Onno meint, es wird ein Mädchen. Er hat sich sogar schon einen Namen ausgedacht.«
    »Einen Namen?« wiederholte Max entsetzt. »Denkt er schon an Namen? Aber dann ist es doch eigentlich schon da!«
    Marijke drängelte sich durch die Menge und stellte ihnen zwei Gläser Wein hin. »Alles okay?«
    Ada sah kurz zu Max, der seufzend eine Geste machte. »Es muß.«
    Der Mann ihnen gegenüber, der sich zur Seite neigte, weil sein Nachbar versuchte, den Mantel auszuziehen, beklagte sich darüber, daß in Amsterdam die Straßenbahnen während der Stoßzeiten permanent überfüllt seien, man könne eigentlich keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen. »Also, was sollen wir tun?« fragte Max. Ada zuckte die Achseln. »Nichts.«
    »Hast du seine Familie schon kennengelernt?«
    Sie nickte. »Und?«
    »Er hat mich seinen Eltern offiziell vorgestellt. Wir waren zum Tee da. Er wird tatsächlich von einer Haushälterin auf einem Teewagen hereingerollt und dann von der gnädigen Frau selbst eingeschenkt.«
    »Und wie haben sie auf dich reagiert?«
    »Das habe ich nicht ganz herausgekriegt. Sie waren sehr herzlich, aber was davon echt war, weiß ich nicht. Onno meinte, ich hätte ihnen gefallen. Er selbst war so nervös, als wäre er dort zum ersten Mal zu Besuch. Seine Mutter schien mir nicht besonders helle und sein Vater ein wenig beängstigend. Er sagte nicht viel und war sehr freundlich, aber dahinter steckte etwas anderes. Als ich das Onno hinterher sagte, meinte er, ich hätte eben erkannt, daß er Politiker sei, ein besserer Straßenkämpfer, weil bei ihm das Hirn an die Stelle der Muskeln getreten sei, ein Mensch, der mit seinen Feinden abrechnen werde.«
    »Und dann sagte er«, ergänzte Max, »daß er genauso sei und seine Feinde bis zum letzten Mann zermalmen werde.« Er dachte daran, wie Onno im Park von Havanna mit Bark Bork abgerechnet hatte. Seine Augen begannen zu brennen. Vieles in ihm war schon ganz Onno, aber es war ein Onno, den es für ihn nie

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