Die Entdeckung des Himmels
nachmittag haben wir das Aufgebot bestellt. In zwei Wochen wird unsere Eheschließung sein. Am siebenundzwanzigsten.«
»Da habe ich Geburtstag.«
»Ich weiß, aber das hat sich auf dem Standesamt so ergeben. Vielleicht kannst du dich trotzdem freimachen. Du bist natürlich Trauzeuge.«
Max hatte das Gefühl, er würde gefoltert. Eine Maschinerie hatte sich in Betrieb gesetzt, die nicht mehr zu stoppen war und trotzdem nicht so weiterfahren konnte. Es mußte etwas geschehen – aber was? »Ich fühle mich sehr geehrt.«
»Sag mal, du machst nicht gerade den Eindruck, sehr erbaut zu sein über die Tatsache, daß dein Freund vom Drang zur Familienbildung gepackt wurde. Bist du mit deinen Gedanken eigentlich bei der Sache?«
»Wenn ich ehrlich bin, Onno«, sagte er und setzte sich an seinen Schreibtisch, »nicht ganz. Wir sind in Leiden gerade mit der Verarbeitung einiger wichtiger Meßergebnisse aus Dwingeloo beschäftigt, die mir ständig im Kopf herumgehen. Hast du etwas dagegen, wenn ich kurz einen Kollegen anrufe?«
»Wenn du das für wichtiger hältst als meine Hochzeit, dann solltest du jetzt anrufen. Offenbar hast du jeden Sinn für Verhältnismäßigkeit verloren.«
Max lächelte und wählte seine eigene Nummer. »Ja, hier Max«, sagte er zum sich stumpfsinnig wiederholenden Besetztzeichen, »gibt es schon etwas Neues? – Im Ernst? – Eine Polarisierung von vierzig Prozent bei einer Wellenlänge von zehn Zentimetern? – Das ist ja sensationell! Aber wenn das so ist, dann – Natürlich. – Klar.« Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte, und plapperte einfach drauflos: »Und wenn es nun aus zwei verschiedenen Radioquellen besteht? – Ja, warum nicht? – Einerseits ist die Struktur des magnetischen Feldes nahezu uniform, aber andererseits, wenn man die Faradayrotation berücksichtigt – Bitte? – Ja, das ist ein bißchen schwierig«, sagte er mit einem zögernden Blick zu Onno, »ich habe Besuch. Aber –.«
»Gut, gut, ich gehe schon«, sagte Onno und stellte sein Glas hin. »Geh du nur zu deiner Polarisation.«
»Ich komme sofort. In zwanzig Minuten bin ich in Leiden.«
Doch Max fuhr nicht nach Leiden. Mit dem Auto brachte er Onno zur Kerkstraat und fuhr dann wieder nach Hause, parkte jedoch nicht vor der Tür, sondern eine Straße weiter, um nicht erwischt zu werden, falls Onno und Ada noch einen Spaziergang machten. So weit also war es schon gekommen! Mit einem Gefühl des Ekels, das er so nicht kannte, stieg er die Treppe zur Wohnung hinauf, blieb, ohne Licht zu machen, bis tief in die Nacht auf, ging die Diagonalen und Mittelsenkrechten auf und ab und warf hin und wieder einen Blick auf das Glas, das Onno nicht ganz ausgetrunken hatte.
Am nächsten Morgen packte ihn beim Aufwachen sofort wieder der Gedanke an das Kind und ließ ihn den ganzen Tag nicht mehr los. Von Minute zu Minute wuchs die Frucht in Adas Schoß heran, kamen Tausende von Zellen hinzu und organisierten sich zu einer furchtbaren Drohung. Obwohl vom Rechenzentrum wichtige Daten eingingen, stellte er sich immer wieder an das Fenster des Büros und blickte, die Hände in den Hosentaschen, über den Botanischen Garten, wo sich der holländische Herbst über die Tropen gelegt hatte. Wieder und wieder gingen ihm die immer gleichen Gedanken durch den Kopf. Es bestand eine fünfzigprozentige Chance, daß es sein Kind sein würde, und das hieß: fünfzig Prozent grauenvolles Risiko, und selbst wenn sich schließlich herausstellen sollte, daß es nicht sein Kind war, würde er dennoch jahrelang Angst vor einer möglichen Ähnlichkeit haben. Soweit er wußte, gab es immer noch keine Methode, um während der Schwangerschaft den Vater zu bestimmen. Angenommen, am Tag der Geburt würde seine Vaterschaft sichtbar, weil das Kind die gleichen Spateldaumen hätte, was dann? Oder unter einer Nachbildung von Adas Augen erschien plötzlich seine Nase, das heißt, die seiner Mutter! Vielleicht sollte er innerhalb der nächsten acht Monate emigrieren? Und doch Fellow auf Mount Palomar in Kalifornien werden? Sich aufh ängen? Was würde er an Onnos Stelle tun? Vielleicht würde er ihn sogar umbringen.
Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Jetzt war das moralische Wrack. Bis zum Hals in Lügen und Verrat versackt. Er dachte zurück an die Nacht im Meer: Welcher Teufel hatte ihn in Gottes Namen bloß geritten? Onno hatte ihn gebeten, in zwei Wochen bei seiner Hochzeit Trauzeuge zu sein, doch zuzusagen war genauso unmöglich wie
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