Die Entdeckung des Himmels
Erinnerung schoben sich die beiden Kompositionen übereinander, und sie hörte, was er meinte. Onno konnte ihr zwar alles über das pythagoreische Komma erklären oder über il diavolo in musica oder warum die mixolydische und die äolische Tonleiter sich spiegelbildlich zueinander verhielten, aber eine Beobachtung wie die von Max lag außerhalb seiner Möglichkeiten.
»Zusammen«, sagte sie abrupt, »wißt ihr, Onno und du, alles über die Musik. Aber ich sitze hinter der Partitur und muß zählen und über die Saiten streichen. Das ist etwas ganz anderes.«
Max nickte und sah sie an. »Erst zu dritt wissen wir wirklich alles.«
Sie begriff sofort, worauf er anspielte. Sie betrachtete mit gebeugtem Kopf ihre Hände im Schoß und sagte nach einigen Sekunden: »Vielleicht nicht einmal das.«
Max zog ein Knie hoch und drehte sich zu ihr hin. »Hör mal, Ada«, sagte er leise, »seit ich von Onno erfahren habe, daß du schwanger bist, habe ich an nichts anderes mehr denken können. Das ist eine absolute Katastrophe.«
»Ich freue mich aber sehr darüber.«
Sie sah, daß er in Panik war; doch was auch immer er vorbringen mochte, sie wußte, daß sie keinen Millimeter weichen würde, und vielleicht spürte er das. Er machte einige unkoordinierte Bewegungen mit dem Kopf und der Hand. »Sicher, du bist eine Frau, du bist schwanger, du erwartest ein Kind, und dieses Kind bist du zugleich auch selber. Das verstehe ich. Es ist vielleicht wie bei einem Künstler, der mit einer Symphonie schwanger geht oder mit einem Roman, er läßt sich durch nichts und niemanden aufh alten. Aber das ist zugleich auch der Unterschied, denn ein Kunstwerk hat nur eine Mutter, während dein Kind auch einen Vater hat. Es war ja wohl keine unbefleckte Empfängnis!«
»Davon gehe ich aus – obwohl ich die Pille genommen habe.«
»Es war wohl eher eine zwiefach befleckte Empfängnis. Nur – wer ist der Vater? Das weißt du nicht.«
»Und ich will es auch nicht wissen. Du und Onno seid der Vater. Ihr seid ohnehin eine Einheit.«
»Ada, du bist wahnsinnig! Eines Tages wird irgendwie ans Licht kommen, wer es ist, Onno oder ich. Gebe Gott, daß es Onno ist, dann ist alles in Ordnung, das heißt – dann haben wir nur jahrelang in Angst gelebt, ich zumindest. Aber wenn nun eine Kopie von mir auf die Welt kommt, was dann? Was haben wir Onno dann angetan? Wie soll es dann weitergehen? Dann wird die Katastrophe endlos!«
»Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte Ada und verschränkte die Arme. »Ich weiß sehr gut, auf was du hinauswillst, aber die Mühe kannst du dir sparen. Ich lasse es nicht abtreiben.«
Max rückte noch ein wenig näher zu ihr. Es waren jetzt auch andere Leute am Tisch: Ein ungepflegter Mann mit grauem Bart, der sich offenbar entschlossen hatte, im Alter ein wildes Leben anzufangen, versuchte mit einer Geschichte vom Krieg ein junges Mädchen zu beeindrucken, während ihr Freund beunruhigt zuhörte, ab und zu mußten sie sich alle drei unter dem Druck des Gedränges hinter ihnen nach vorne beugen. Doch in dem Dunst von nassen Haaren und Mänteln, von Rauch und Biergeruch, den zu Hause niemand länger als eine Minute aushalten würde, und in dem Geschrei und Gelächter brauchten Max und Ada nicht zu befürchten, belauscht zu werden. »Sieh doch in Gottes Namen ein, daß es keinen anderen Ausweg gibt! Du kannst Onno doch sagen, du hättest eine Fehlgeburt gehabt – und nach einigen Monaten bist du wieder schwanger, wenn du es möchtest.«
Ada nahm einen Schluck von ihrem Weißwein, der ihr von einem Ober gebracht worden war, der so dünn wie ein Bleistiftstrich war, wohl weil er jeden Abend durch dieses Knäuel von Leibern gemangelt wurde. »Nein, bin ich nicht.«
»Was meinst du?«
Sie stellte ihr Glas hin und sah ihn an. »Ich werde nicht wieder schwanger.«
»Und warum nicht?«
»Das ahne ich.«
»Und worauf beruht diese Ahnung?«
»Ich weiß es nicht.«
»Meinst du vielleicht in Hinblick auf die Abtreibung? Hör zu, wir lassen das nicht von einer alten Frau mit einer Seifenspritze machen, dafür werde ich sorgen. Es geht vielleicht in der Uniklinik in Leiden.«
»Damit hat das nichts zu tun, aber ich bin mir ganz sicher, daß dies meine einzige Chance ist, ein Kind zu bekommen.«
Er tat ihr leid. Vielleicht war er der Vater ihres Kindes, vielleicht nicht, auf jeden Fall sah er jetzt einer schrecklichen Zeit entgegen. Alles, was sich Max überlegt hatte, hatte sie sich natürlich auch schon überlegt; aber selbst wenn
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