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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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wie ein Rorschachtest, Ada zufolge aber wie die Unteransicht des Gehirns. 
    »Was weißt du denn von Gehirnen?« fragte Onno. »Das ist meine Spezialität.«
    »Ich habe einmal Bilder davon gesehen.«
    Nachdem sie im Gästezimmer ihre Tasche ausgepackt hatten, gingen sie ins Hauptgebäude, wo sich in einer flachen Kantinenhalle Astronomen, Techniker, Verwaltungspersonal und Werkstudenten um einen Wagen mit Tee und Kuchen versammelt hatten. Manche kannten Onno und Ada bereits von ihrem Besuch in der Leidener Sternwarte – es war, wurde Max plötzlich klar, der allererste Tag gewesen, der Tag, an dem er Ada aus dem Antiquariat Lob der Torheit geholt hatte. Er sah sie wieder vor sich, wie sie hinter ihrem Cello gesessen hatte, musicienne du silence, ihr Vater hatte Wandfarbe im Gesicht gehabt – und später: »Sei vorsichtig, tu mir nicht weh …«
    Er zeigte ihnen sein Büro, das genauso aufgeräumt und ordentlich war wie das in Leiden, den Meßraum, die Instrumentenherstellung und die Werkstätten, wo überall bereits Licht brannte. Schließlich traten sie auf der Rückseite des Gebäudes ins Freie. Hundert Meter weiter stand das kolossale Teleskop, still auf einen Punkt des dunklen Himmels gerichtet. Auch für Max ging immer noch eine geheimnisvolle Wirkung von diesem Instrument aus, das er so gut kannte und das mit keinem anderen technischen Bauwerk vergleichbar war. Ein leichter Wind war aufgekommen, und während sie auf die Antenne zugingen, sagte er, dies habe natürlich mit dem Kontakt zu dem am weitesten Entfernten zu tun und dem frühesten Zeitpunkt, den man sich vorstellen könne. Am Rand der Heide, die bis zum Horizont reichte, ragte der Reflektor über ihnen in die Höhe, durchsichtig wie ein abgefallenes Blatt, von dem im Winter nur das Gerippe übriggeblieben war. Der Spiegel ruhte auf Stahlbeinen, zwischen denen sich eine Bedienungsbaracke befand, und die ganze Konstruktion war auf vier Räder montiert, die auf einem kreisförmigen Gleis standen. 
    »Wenn du mich fragst, sind das Spülbürsten«, sagte Ada und zeigte auf die Bürsten, die mit Schnüren provisorisch vor und hinter jedem Rad befestigt waren, um die Schiene glatt zu halten. 
    »Aus dem Haushaltswarengeschäft in Dwingeloo«, nickte Max. »So geht es immer und überall zu in der Wissenschaft, aber das darf keiner wissen.«
    »In der Politik ist es ganz genauso«, sagte Onno. »Nur Improvisation und Pfusch. Die Leute glauben an Meisterhirne und teuflische Komplotte, aber wenn sie erführen, wie Politik tatsächlich gemacht wird, würden sie sich zu Tode erschrekken. Weil es da genauso zugeht wie bei ihnen zu Hause. Ich glaube, es ist überall dasselbe, wenn man hinter die Kulissen schaut. So gesehen ist es ein Wunder, daß sich die Welt noch dreht.«
    In der Bedienungsbaracke, in der einige Beobachter an den Apparaten saßen, erläuterte er, was im Augenblick beobachtet oder abgehört wurde. »Ich schätze, daß gerade geeicht wird«, sagte Max. »Was machen wir gerade, Floris? 3 C 296?«
    Ein Mann, etwa in seinem Alter, sagte, ohne sich von seinen Meßgeräten abzuwenden:
    »Ja, aber irgendwo ist eine Störung. Das ist bestimmt wieder so ein verfluchter Wetterballon aus Cuxhaven, mit seinem achtunddreißigsten Harmonischen. Warum rufen wir nicht im Fliegerhorst Leeuwarden an, daß sie die Dinger abschießen?«
    »Diese Leute stören doch selber.«
    Das sei tatsächlich das Problem, sagte Max, Onno habe recht mit seinem Moped. Sobald die Information auf Lochkarte gespeichert vorliege, müsse überprüft werden, was nun tatsächlich gemessen worden sei, und dann könne die Astronomie herausgefiltert werden. 
    »Entschuldigt bitte, aber ich glaube, daß ich mich jetzt ein bißchen darum kümmern muß. Wenn ihr jetzt einen Spaziergang durch die Heide macht, sehen wir uns vor dem Essen wieder. Ich habe im Dorf einen Tisch bestellt, in einem Sternenrestaurant, sozusagen. Und denkt daran, wenn es anfängt zu gewittern, müßt ihr euch flach auf den Boden legen und Stück für Stück zurückkriechen. Das sind so Dinge, von denen man als Stadtmensch normalerweise keine Ahnung hat.«
    Im selben Augenblick, in dem er das sagte, wurde er selbst wie vom Blitz von dem Gedanken getroffen, daß das die Lösung seines Problems wäre – wenn Ada auf diese Weise ihr Ende fände –, und er wünschte, daß dieser Gedanke sofort wieder aus seinem Kopf herausgebrannt werden könnte.

    Eine Tischreservierung wäre nicht nötig gewesen, wegen des schlechten

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