Die Entdeckung des Himmels
Wetters waren sie die einzigen Gäste. In dem dunklen, rustikalen Raum mit undefinierbaren Gemälden, Bildern und Eisenpfannen an den Wänden suchten sie sich einen Platz möglichst weit weg von den Fenstern, an die nun die Regenböen schlugen. Max zündete die Kerze auf dem Tisch an und lauschte Onnos Vortrag über den Unterschied zwischen Mistwetter in der Stadt und Mistwetter auf dem Lande. In der Stadt werde man nämlich nasser vom Regen, und Wetter gehöre eigentlich gar nicht dorthin; auf dem Land dagegen mache einen diese Witterung, die in der Stadt doch nur als unpassend empfunden werde, eher depressiv. »Du machst aber nicht gerade den Eindruck, als wärst du im Moment depressiv.«
»Natürlich nicht, ich bin dem Ganzen ja auch enthoben und halte mich in den Regionen der Vernunft auf, wo die Witterung keinen Einfluß hat. Aber du – du machst einen ziemlich bedrückten Eindruck. Fehlt dir was?«
»Mitnichten«, sagte Max und warf einen unsicheren Blick auf Ada, der er gerade noch den Tod gewünscht hatte. »Was sollte mir fehlen?«
»Das ist ja meine Frage. Vielleicht kommst du zu oft hierher. Wie soll das erst werden, wenn die Anlage in Westerbork fertig ist?«
»Das werde ich dann schon sehen.«
»Wie weit sind sie jetzt?«
»Der zwölfte Spiegel wird in diesem Jahr noch fertig.«
»Das muß doch ein herrlicher Anblick sein«, sagte Ada. »Einer allein ist ja schon beeindruckend.«
»Das glaube ich auch.«
Mit einem fragenden Blick sah Onno ihn an. »Willst du damit etwa sagen, daß du dir das noch nie angesehen hast?«
»Nein. Ich meine, ja. Ich habe es noch nie gesehen.«
»Ist das nicht hier in der Nähe?« fragte Ada. »Fünfundzwanzig Kilometer von hier.«
»Ganz in der Nähe also.«
Onno legte kurz seine Hand auf die ihre, und Max sah, daß dies nicht nur eine zärtliche Geste war, sondern auch ein Befehl zum Schweigen. Offenbar wußte sie nicht, was ›Westerbork‹ für Max bedeutete, er hatte es ihr nie erzählt, und wenn sie es von Onno wußte, hatte sie den Namen inzwischen wahrscheinlich einfach vergessen. Es war ihm nicht sonderlich angenehm, umsichtig behandelt zu werden wie ein Kranker.
»Aber ich kenne das Gelände wie meine Westentasche. Ich habe alle Grundrisse im Kopf und kann euch blind zum Appellplatz oder zur Strafb aracke führen.«
Es sah immer mehr danach aus, daß er als Teleskopastronom in Westerbork arbeiten sollte, als der Astronom, der vor Ort mit den Technikern zusammenarbeitete, er würde schon sehen. Vielleicht ist es das beste, dachte er, die Sache so lange vor sich her zu schieben, bis es nicht mehr geht, man soll ja auch nicht zuerst mit dem großen Zeh fühlen, wie kalt das Wasser ist, sondern einfach hineinspringen. Außerdem wurde dieses Problem in den letzten Monaten von einem anderen überlagert, für das ausschließlich er die Verantwortung trug.
Auch der gepflegte schwarze Anzug konnte nichts an dem groben Gesicht des Obers ändern, dessen Großeltern vermutlich noch in einer Lehmhütte zur Welt gekommen waren. Aber den Champagner öffnete er fachmännisch, ohne den Korken knallen zu lassen. Max probierte, wartete, bis eingeschenkt war – Ada hielt die Hand über ihr Glas –, und brachte einen Trinkspruch aus.
»Auf unsere simultane Empfängnis!«
Entgeistert sah Ada ihn an. Hatte er Onno informiert?
»Was um Himmels willen soll das denn?«
Er begriff sofort, was sie dachte – aber ehe er antworten konnte, sagte Onno: »Das habe ich dir doch erzählt, Ada, aber du hast mir ja nicht zugehört und wahrscheinlich gedacht: ja, ja, du kannst mir viel erzählen. Was wir hier feiern, ist die stille, heilige Nacht von Van der Lubbe, dem einflußreichsten niederländischen Politiker, den es je gegeben hat.«
Während sie die Speisekarte studierten, erzählte er ihr die Geschichte noch einmal – und auch den Anlaß, bei dem ihm Max die Sache vorgerechnet hatte. »Darf Onno bitte draußen mit mir spielen, Frau Hartman?« Max hatte es schon fast vergessen. Es war ein knappes Jahr her, aber es kam ihm vor wie aus einer fernen Vergangenheit.
»Wie geht es Helga?« fragte er. »Hast du sie noch einmal getroffen?«
»Nein, nie. Sie sitzt wahrscheinlich brav im Kunsthistorischen Institut und aktualisiert den Katalog.«
Sie aßen Wildschwein, und Onno ließ sich über diverse innenpolitische Widerwärtigkeiten aus, die sich Max und Ada höflich anhörten. Jetzt werde ein großer Sprung nach vorn gemacht, sagte er, und endlich verwirklicht, was
Weitere Kostenlose Bücher