Die Entdeckung des Himmels
sein Vater und dessen Freunde 1945 verhindert hätten. Das gehe einher mit einer rabiaten Demokratisierungswelle, die der plebejischen Züge nicht entbehre: keiner dürfe mehr leisten als der andere – und wenn man das nun fördere, selbst aber aristokratisch leiste, was sonst keiner leiste, dann sei man bis zum Ende des Jahrhunderts in den Schaltzentralen der Macht.
»Machiavelli hat nicht umsonst gelebt«, sagte Max.
»Ah, Machiavelli!« rief Onno. »Ein Name, der leider allzu selten genannt wird!«
Nach dem Kaffee bat Onno um die Rechnung, aber der Ober wehrte ab, es sei alles erledigt.
»Ihr wart meine Gäste«, sagte Max und stand auf. »In Amsterdam esse ich dann gern mal wieder auf eure Kosten.«
26
Fancy
Es goß noch immer, und zudem wehte jetzt ein heftiger Wind; sie liefen rasch zum Auto, fuhren durch die verlassene, dunkle Gegend zurück und waren zehn Minuten später wieder in der Sternwarte. Überall brannte noch Licht, überall wurde noch observiert, und auch der Antipode saß noch am Küchentisch des Gästehauses. Es war halb elf, und Max fragte, ob sie schon schlafen gehen wollten, wenn nicht, habe er noch einen Wein, Rum und Cola in der Küche. Ada wollte gern noch ein Glas Cola, auch wenn das vielleicht für eine Schwangere nicht das richtige sei, aber Onno war der Meinung, Alkohol sei für schädliche Bakterien tödlich und folglich für heranwachsende Embryonen äußerst gesund. Es kam Max so vor, als könnte er den bunten Bücherstapel über Schwangerschaft und Entbindung sehen, der mit Sicherheit neben Adas Bett lag.
Draußen wurde das Gewitter immer heftiger, und sie saßen gemütlich am Kamin. Onno unterschied jetzt zwischen ›großem Wetter‹ und ›kleinem Wetter‹: das Wetter könne so schlecht sein, daß es durch den Nullpunkt durchschlage und wieder gut werde, Donner, Blitz, Deichbrüche, Überschwemmungen – keine Rede davon, daß das ›schlechtes Wetter‹ sei, und Max erzählte, Dickens habe jedes Jahr an Heiligabend ein Diner für seine Freunde gegeben, bei dem ein gemieteter Landstreicher im Schneesturm unter dem Fenster stehen und alle paar Minuten rufen mußte: »Huu! Was ist das kalt!«, so daß man drinnen um so mehr die Wärme und die Gans genoß.
»So ein Schuft «, sagte Ada.
»Ganz und gar nicht«, sagte Onno, »das ist dialektisch vollkommen in Ordnung. Man sieht daran nur, daß er in seiner Art zu leben ein großer Schriftsteller war.«
»Komische Auffassungen von Größe habt ihr.«
»Was ist denn für dich das Charakteristikum von Größe?«
»Bescheidenheit.«
»Ada!« rief Onno und griff sich verzweifelt an den Kopf. »Nicht das Schlimmste!«
»Ich meine es wirklich. Soweit ich weiß, fühlte sich Bach der Musik gegenüber winzig klein.«
»Aber er schrieb dennoch ein Meisterwerk nach dem anderen. Wirklich sehr bescheiden. Und überhaupt, was ist das, die Musik? Ohne Bach und die anderen Komponisten gäbe es die Musik überhaupt nicht. Oder glaubst du etwa, daß die Musik etwas ist, das da irgendwo am Himmel schwebt?«
»Vielleicht schon, ja.«
»Frauen sind Platoniker«, sagte Onno kopfschüttelnd. »Und was ist mit Max, mit diesem Teleskop hier?« fragte Ada und wandte sich ihm zu. »Fühlst du dich nicht klein, wenn du ins Weltall schaust?«
»Ich glaube«, sagte Max behutsam, »daß du zwei Dinge miteinander verwechselst. Einstein war offenbar auch ein bescheidener Mensch, aber er hatte keine Hemmungen zu beschreiben, wie das Weltall zusammengesetzt ist. Onno hat recht: Wie bescheiden ist das eigentlich? Man kann sagen, daß er sich in seinem Alltag nichts darauf einbildete, was auch nicht nötig war, aber dann ist Bescheidenheit nur eine psychologische Kategorie –.«
»Und die Psychologie ist immer uninteressant«, unterbrach ihn Onno. »Und da wir schon darüber sprechen: Wie bescheiden war Freud selbst? Lies die Texte und erschrecke.«
»Offen gestanden«, sagte Max, »habe ich als kleiner Junge nie verstanden, daß sich jemand dem All gegenüber klein vorkommen kann. Der Mensch weiß doch, wie überwältigend groß es ist, und noch einige Dinge mehr, aber deswegen ist er doch nicht klein! Daß er das alles entdeckt hat, beweist doch gerade seine Größe. Das Erstaunliche ist eher, daß dieses murkelige Wesen das gesamte Weltall in diesem winzigen Raum unter seiner Schädeldecke erfassen und darüber obendrein noch reflektieren kann, wie wir jetzt. Das macht ihn in gewisser Weise sogar größer als das Weltall.«
»Ja«,
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