Die Entdeckung des Himmels
es nicht«, sagte Max, während er in seinen Kalender sah. »Nur bin ich den ganzen Dienstag noch in Dwingeloo. Was würdest du davon halten, mit dem Zug nach Drenthe zu kommen? Ich hole dich dann in Wijster vom Bahnhof ab und zeige dir alles hier, damit du dich dann mit einer beträchtlichen Subvention beliebt machen kannst, wenn du an der Macht bist.«
»Im Gegenteil, es sollte alles drastisch gekürzt werden. Spiegel, Spiegel, immer nur Spiegel; ihr seid wie die Militärs. Und wie groß ist der soziale Nutzen all dieser Spiegel?«
»Gott sei Dank gleich Null.«
»Ich werde einmal ausrechnen lassen, wie viele Kindertagesstätten von dem Geld für einen einzigen Spiegel gebaut werden könnten.«
»Dann wirst du auch für Babys sorgen müssen«, sagte Max und war augenblicklich von der Doppeldeutigkeit dieser Bemerkung verwirrt. »Wenn du mich fragst, sind das nur Lachspiegel, und ihr schüttet euch den ganzen Tag aus vor Lachen über diese dum -me Obrigkeit.«
»Erzähl es aber bitte niemandem. Schau es dir am Dienstag an, du lachst dich tot. Wenn du möchtest, kannst du im Gästehaus übernachten, und dann fahren wir am nächsten Tag zusammen zurück.«
»Abgemacht. Du hast natürlich nichts dagegen, wenn ich Ada mitnehme? Ich sehe sie fast nicht mehr; wenn das so weitergeht, strandet meine Ehe irgendwann. Um mich herum sehe ich nichts anderes mehr.«
»Ihr seid alle drei willkommen.«
Die ganze Woche über war es außergewöhnlich warm gewesen. An dem Nachmittag jedoch, als Max als einziger auf dem offenen Bahnsteig des Provinzbahnhofs wartete, war es schwül und windstill, der Himmel war bedeckt, und es sah ganz danach aus, als ob ein Gewitter im Anzug war. Mit dem Mittelfinger strich er über die kleine, kahle Stelle auf dem Hinterkopf, die er vor einigen Wochen zu seinem Entsetzen entdeckt hatte. Sie war oval, mit einem Durchmesser von zwei, drei Zentimetern und unter dem Haar nicht sichtbar; die Angst, plötzlich kahl zu werden, war tagelang nicht von ihm gewichen, und als die Stelle nicht größer wurde, hatte er sich wieder beruhigt.
Der kurze Zug fuhr langsam ein. Eine gelbe Raupe. Darin saß das, was ihm das Liebste auf der Welt war und ihn zugleich am meisten bedrohte. Als Onno Ada beim Aussteigen die Hand reichte, in der anderen hielt er die Reisetasche, sah Max zum ersten Mal, daß sich ihr Bauch gerundet hatte. Sie trug ein langes, schwarzes Kleid bis zu den Füßen, der hohe Halsausschnitt und die langen Ärmel waren mit Streifen weißer Spitze abgesetzt, und unter der Taille dehnte sich plötzlich etwas, was ihren Schwerpunkt verlagert hatte, so daß sie leicht nach hinten geneigt ging.
Mißbilligend sah sich Onno um.
»In diesem Nest also glaubst du die Tiefen des Universums erforschen zu können.« Er legte eine Hand ans Ohr und lausch te. »Ich höre das Echo von deinem Big Bang gar nicht. Ich höre in der Ferne nur stockdumme Kühe, die gemolken werden müssen.«
»Also hörst du ihn doch«, sagte Max.
Das Verdeck seines Autos war offen, und ein paar kleine Jungen beugten sich über das Armaturenbrett, um zu sehen, wie schnell der Wagen fuhr. Nun war es Onno, der sich quer auf den engen Platz hinter die Vordersitze quetschen mußte, dann fuhren sie über die von hohen Ulmen gesäumte Landstraße aus dem Dorf hinaus; grau wie Zinn hing der Himmel über den sich abwechselnden Feldern und Wäldern, und Max zeigte ihnen die großen Findlinge aus der Eiszeit, die bei der Zufahrt jedes Bauernhofs zu kleinen Pyramiden gestapelt waren. »Sie haben sich von selbst aus der Tiefe emporgearbeitet«, erzählte er, »bis die Bauern beim Pflügen darauf gestoßen sind.«
»Verstehe ich das richtig«, fragte Onno, »daß hier die Steine nach oben fallen?«
»Nicht mehr, wenn sie einmal oben sind.«
»Ach, die gute Mutter Erde!« rief Onno mit väterlichem Mitleid in der Stimme.
Max wollte noch sagen, daß er auch schon gehört habe, daß bei Veteranen nach zwanzig Jahren plötzlich eine Kugel aus dem Rücken zum Vorschein komme, aber es gelang ihm nicht mehr, auf diese spielerische Weise mit Onno umzugehen. Was ihn daran hinderte, befand sich jetzt direkt neben ihm, unter dieser schwarzen Wölbung. Er warf einen Blick in den Rückspiegel: Onno saß mit wehenden Haaren da, genoß offenbar die Fahrt und sah sich nach allen Seiten um. Hinter ihm, im Spiegel, fuhren sie rückwärts und auf der falschen Straßenseite: genauso war ihr Verhältnis jetzt.
Sie kamen an Landarbeiterhäuschen
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