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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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vor, wie Adas Vater, an dessen Gesicht er sich kaum noch erinnern konnte, auf der Treppe vor seinen Bücherregalen von einem Fausthieb in der Brust getroffen wurde. Offenbar konnte jeden Augenblick alles passieren; jeder lebte von einem Tag in den anderen in einer Art Gottvertrauen, daß alles auf ewig so bleiben würde, wie es war, und dann plötzlich war alles anders. Er holte rasch noch die Lochbänder für das Rechenzentrum und ging mit zwei Taschen in den Aufenthaltsraum, wo wenig später auch Ada und Onno erschienen. 
    »Mein Gott, Ada«, sagte er und küßte sie auf die Stirn, »wie schrecklich. Hat er früher schon Herzbeschwerden gehabt?«
    »Ich glaube schon, aber er wollte es nicht wahrhaben. Männer sind doch immer so tapfer. Laß uns schnell gehen.«
    Keiner von ihnen hatte einen Mantel dabei. Draußen rannte Max durch das Gewitter zum Wagen und fuhr ihn unmittelbar vor die Tür des Gästehauses. Da das Verdeck geschlossen war, mußte sich Onno nun hinter den beiden Vordersitzen auf ein Viertel seines Umfangs zusammenfalten; Ada bot ihm ihren Platz an, aber davon wollte er nichts wissen. Der Regen prasselte auf das Segeltuchdach, und Max fuhr mit Fernlicht auf den Sandweg. Der Wald bewegte sich, als bestünde er nicht aus Pflanzen, sondern aus Tieren; überall lagen abgerissene Äste im Schlamm, denen Max ausweichen mußte. Über das Lenkrad gebeugt, stierte er auf den Weg und wischte ab und zu mit dem Ärmel über die Windschutzscheibe. Der Weg ging über in eine Straße, auf der der Wolkenbruch Myriaden tanzender Mäuse ablud: dicke Blasen mit Beinen, eine sinnlose Polka, von der er nur einen Bruchteil sah. Nahezu alle Häuser im Dorf waren dunkel; neben den Gehsteigen stand das Wasser, das die Gullys nicht mehr aufnehmen konnten, in ausgedehnten Pfützen, die mit einem Geräusch wie beim Messerschleifen bis in die Vorgärten spritzten. Als sie am Restaurant vorbeifuhren, tauchte in ihm kurz ein Bild vom Inneren des Hauses auf: Ober und Koch waren nach Hause gegangen, die Lichter gelöscht, aber in der unermeßlichen dunklen Verlassenheit befanden sich noch immer die Tische und Stühle und die Pfannen an der Wand.
    Auf der Landstraße, wo keine Straßenlaternen mehr brannten, mußte er das Lenkrad richtiggehend festhalten, um den Wagen in der Spur zu halten. Der Asphalt glänzte vor Wasser, aber das Auto war glücklicherweise mit Onnos Gewicht auf der Hinterachse und mit Ada, die fast doppelt zählte, schwer genug. Es regnete so heftig, daß der Scheibenwischer gegen den Wasservorhang auf der Windschutzscheibe nur wenig ausrichten konnte. Jede Windböe riß an dem Wagen, und Max hatte Mühe, den weißen Mittelstreifen nicht zu verlieren, das Scheinwerferlicht war in Kegel voller blendend aufleuchtender Perlen verwandelt. 
    »Es tut mir leid«, sagte er mit einem Blick zu Ada, »ich muß langsam fahren.«
    »Paß auf!« rief sie. 
    Auf der Straße lag quer ein entwurzelter Baum, der von links auf die Fahrbahn gestürzt war. Max bremste, spürte aber sofort, wie die Reifen die Haftung auf dem Asphalt verloren, kuppelte aus und warf das Lenkrad herum; als Ada seine Schulter packte, kam er mit den Vorderrädern wenige Meter vor dem meterhohen Hindernis an der rechten Böschung zum Stehen. 
    »Meine Güte«, sagte er, »das war aber knapp. Wir müssen umdrehen.« Er schaltete in den Rückwärtsgang und versuchte, vom Seitenstreifen zu kommen, aber die Vorderräder waren zu tief eingesunken. 
    »Wir müssen schieben, Onno.«
    Er stellte den Motor ab und öffnete die Tür, die ihm augenblicklich fast aus der Hand gerissen wurde, und klappte die Lehne seines Sitzes nach vorn, um Onno aussteigen zu lassen. 
    »Soll ich helfen?« fragte Ada. 
    »Bleib du in Gottes Namen sitzen«, sagte Onno. 
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte Max, als er die Tür zuschlug, »bevor noch ein Auto kommt.«
    In dem tobenden Pandämonium packten sie im Licht der Scheinwerfer die Stoßstange. Max stand mit den neuen Schuhen bis zu den Knöcheln im Schlamm und zählte bis drei, aber im selben Augenblick löste sich aus dem Lärm des Sturms und des Regengeprassels ein neues Geräusch, ein dunkles Röcheln, das überging in ein tiefes Krachen und Rauschen. Max sah sich um und nach oben, und dann plötzlich auf der anderen Straßenseite die dunkle Baumkrone, die sich wie eine riesenhafte Hand auf ihn zubewegte. Er griff nach Onno und zog ihn mit seinem ganzen Körpergewicht zu Boden. Mit einem satten Schlag fiel der Baum auf die

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