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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Papageienschnabel wie in seinem eigenen Bubenzimmer zu Hause bei seiner Mutter. Er machte das gleiche Klick-Geräusch. Sofort überwältigte ihn die Dunkelheit. 
    Draußen herrschte vollkommene Stille. Er legte die Hände unter den Kopf und schloß die Augen. War es wirklich heute gewesen, daß er sie vom Bahnhof abgeholt hatte? Die niedersausende Krone –. 
    Er wachte auf, als sie neben ihm unter die Decke schlüpfte. Zuerst dachte er, daß er träumte, denn das hier war ja wohl ausgeschlossen. Aber er träumte nicht, plötzlich fühlte er, wie Sophia einen Arm um ihn legte und ihren warmen Körper, der sich weinend schüttelte, an ihn drückte. Ja, das war vollkommen unmöglich, absolut undenkbar! 
    »Was ist?« fragte er. 
    »Sei mir nicht böse«, schluchzte sie und verbarg ihr Gesicht an seinem Hals, »schick mich ruhig weg. Es kommt – wie du ausgesehen hast mit all den Schrammen und diesen kaputten Kleidern. Genau wie Oswald damals, an dem Tag, als ich ihn kennenlernte, im Krieg, nach dem Bombardement. Genau an seinem Todestag. Er war immer ein großer Schussel, aber –. Und dann das mit Ada –. Vielleicht ist es besser, daß er das nicht mehr erleben muß.«
    Er erschrak über das, was sie sagte. In seiner Verwirrung legte er einen Arm um sie, väterlich und trostsuchend zugleich, und spürte unter dem dünnen, hochgerutschten Nachthemd ihren weichen Rücken, ihre vollen Hüften. Und dann? Sein Körper paßte genau in die Wölbungen ihres Körpers, ihre Brüste, ihren Bauch, wie ein Musikinstrument in sein Futteral. Ungewollt streichelte er ihr über ihren großen, nackten Hintern, den Hintern einer reifen Frau Mitte Vierzig, und als würde seine Hand von einem Strudel gepackt und mitgerissen, geriet sie zwischen ihre Schenkel und kam in eine andere, tropische Welt aus Haar und lebendigem Fleisch, das sich in der Dunkelheit plötzlich um ihn zu legen schien, er begann zu zittern und küßte sie, sie zog ihm die Hose herunter, und ohne Hilfe verschwand er in ihr, als ob die Öffnung überall wäre. Sie streckte die Zunge vor, weit vor, während zugleich ein tiefes Seufzen aus ihrer Kehle drang, und in der Tiefe ihres Bauches schnappte immer wieder etwas nach seiner Eichel, was war das für ein Geheimnis? Er dachte an ihren Mann, der jetzt erstarrt auf einem Katafalk im Leichenhaus lag und das auch gespürt haben mußte, damals, als er Ada zeugte, aber das Schnappen verscheuchte den Gedanken sofort wieder und trieb ihn schnell zum Höhepunkt, als ob er aufgepumpt würde. Sein Atmen kam ins Stocken, und mit einem lauten Schrei platzte etwas, und mit einem zweiten, einem dritten und vierten ergoß er sich in sie. Verschwitzt und außer Atem sank er in sich zusammen, und noch ehe er es richtig merkte, war sie schon aus dem Bett und verschwunden. 
    Er hörte gerade noch, wie sie die Tür schloß. Er hatte sie nicht gesehen. Er tastete nach der Kordel des Schalters, zog daran und schloß geblendet die Augen. Es war nicht wahr, was jetzt passiert war! Eine Halluzination, hervorgerufen durch emotionale Überreizung und Müdigkeit! Er fühlte an seinem Penis: noch immer halb steif und klatschnaß. Perplex fragte er sich, ob er jetzt mit der Großmutter seines Kindes geschlafen hatte – im Bett ihrer soeben verunglückten Tochter und im Pyjama ihres vor wenigen Stunden verstorbenen Ehemannes. Die letzten beiden Tatsachen standen auf jeden Fall fest. Wie würden sie sich am Morgen unter die Augen treten? Wer hatte wen verführt? Sie ihn natürlich! Zum ersten Mal in seinem Leben war er verführt worden. Vielleicht hatte sie seit Jahr und Tag nicht mehr mit ihrem Mann geschlafen. Vielleicht sollte er jetzt aufstehen, einen Zettel schreiben und gehen. Aber welche Anrede sollte auf dem Zettel stehen? Liebe Sophia ? Sehr geehrte Frau Brons ? Das eine war ebenso unmöglich wie das andere. Gar keine Anrede? Es kam ihm vor, als ob der Gedanke, jetzt seine verdreckten Kleider anziehen zu müssen und durch den Botanischen Garten zur Sternwarte zu gehen, das endgültige Zeichen war, hinter diesen Tag einen Punkt zu machen. Er hatte gerade noch den Reflex, an der Kordel zu ziehen.

    Um Viertel nach neun wachte er auf; die Erinnerung an die Nacht erfüllte ihn augenblicklich mit nervöser Unsicherheit. Wie immer, wenn er aufwachte, ließ er die Mittelgelenke seiner Daumen knacken. Er stand rasch auf und öffnete die Vorhänge. Das Wetter hatte sich beruhigt, nur einige abgerissene Zweige und Scherben von Dachziegeln

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