Die Entdeckung des Himmels
waren seine letzten Worte?«
»Und es regnet und regnet.« Mit verschränkten Armen starrte Sophia eine Weile vor sich hin, als sähe sie ihn wieder vor sich. »Er fühlte sich den ganzen Tag schon ungut und ängstlich. Er dachte, es sei das Wetter.«
Ihre Blicke begegneten sich kurz. Max wollte fragen, ob er große Schmerzen gehabt habe, aber es schien ihm unpassend. Er beugte sich über das Fotoalbum und betrachtete eine Familie vor dem Sockel eines Standbildes. Am Fuß des Bildes lag ein überlebensgroßer, geflügelter Löwe; ausgelassen hatte Ada den Kopf auf die Stufe unter die bronzene Pranke gelegt, während ihr Vater in gespieltem Schrecken zurückwich. Ihre Mutter sah zum Standbild hinauf, das auf dem Foto nicht sichtbar war. »Venedig?« fragte er und sah auf. »Vor zwei Jahren.«
»Sie sind alle drei darauf. Wer hat das Foto gemacht?«
»Ein Passant.«
Er lehnte sich zurück und schaute durch die offene Zwischentür zum Laden. Er wäre jetzt gerne gegangen, hatte aber das Gefühl, daß das noch nicht ging. »Was machen Sie jetzt mit dem Antiquariat? Machen Sie weiter?«
»Daran will ich noch gar nicht denken. Zuerst muß die Beerdigung geregelt werden.«
Max nickte. »Müssen Sie das allein machen, oder gibt es Verwandte?«
»Ich habe eine Mutter im Altersheim und einen Bruder in Kanada. Aber mein Mann hat noch zwei Schwestern, die helfen könnten. Onno sagte übrigens, daß er gleich morgen früh seine Familie benachrichtigen würde.«
»Das kann man denen schon anvertrauen. Und wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfügung.« Er stand auf. »Also, Frau Brons, dann werde ich Sie nicht länger stören.«
Fragend sah sie ihn an. »Wo willst du hin? Es ist nach vier. Doch nicht etwa mit einem Taxi nach Amsterdam?«
»Ich kann in die Sternwarte fahren. Der Direktor wohnt auf dem Gelände, der hat bestimmt ein Bett für mich. Und sonst übernachte ich beim Verwalter.«
Sophia stand ebenfalls auf. »So ein Unsinn, die Leute zu wecken. Du kannst in Adas Zimmer schlafen. Am besten gehst du jetzt rauf und duschst erst mal.«
Ja, warum eigentlich nicht? Er hatte befürchtet, eine ratlose Witwe anzutreffen, die verzweifelt neben dem Leichnam ihres Mannes weinte, statt dessen schien sie dieser Tod eher gefestigt zu haben. Und die Vorstellung, nachher wieder auf die Straße zu gehen, war ihm jetzt alles andere als verlockend. Zudem war Sophia Brons heute nacht vielleicht lieber nicht allein im Haus.
»Nun, wenn ich Ihnen keine Umstände mache, gerne.«
Sie machte die Lichter aus und zeigte ihm oben das Badezimmer, einen kleinen Raum mit einem Waschbecken, einem zusammengeklappten Bügelbrett an der Wand und einem hohen Wäschekorb. Am liebsten hätte er ein Bad genommen, aber es gab nur eine viereckige Duschkabine mit einem weißen Plastikvorhang. Schnell zog er sich aus, warf die immer noch nicht ganz trockenen Kleider auf einen Haufen und stellte sich in die federnde Zinkwanne der Dusche; ein Versuch, sie zu reinigen, offenbar mit irgendeiner Säure, hatte das Metall weiß verätzt. Aber der bescheidene Strahl aus der Brause war warm und erfüllte ihn mit einem behaglichen Gefühl. Als ob er heute nicht genug Wasser abbekommen hätte. An einer Schnur hing ein eiförmiges Stück rosa Seife, mit der er endlich alles wegwaschen konnte, nicht nur den Schmutz, sondern irgendwie auch die Nähe der Ereignisse. Als er den Vorhang beiseite schob, lagen ein Handtuch und ein zusammengelegter Pyjama auf dem Rand des Waschbeckens.
Sicher von Adas Vater. Die Hosenbeine waren zu kurz, aber der Flanell war weich und angenehm. In Adas Zimmer, auf der Rückseite des Hauses, war ihre Mutter dabei, das Bett zu beziehen; das Fenster stand offen. Sie warf einen kurzen Blick auf ihn.
»Das sieht schon ganz anders aus.«
Er war hier noch nie gewesen. Ada hatte das meiste in Onnos Wohnung mitgenommen, nur die Mädchensachen waren dageblieben. Puppen und Kuscheltiere auf einem Schränkchen mit Mädchenbüchern, kleine Dinge und Nippes, Schächtelchen, Fläschchen, an der Wand ein großes Poster eines melancholischen Bluthundes, ein gerahmtes Bild von Strawinsky, ein verbogener Notenständer mit einem Wollkaninchen. Alles sah ordentlich und sauber aus, offenbar war das Zimmer erst vor kurzem geweißelt worden.
Sie wünschten sich eine gute Nacht, und Max legte sich ins Bett. Neben ihm hing eine Kordel an der Wand; der Schalter unter der Decke war genau der gleiche
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