Die Entdeckung des Himmels
auf die Stirn und überquerte die Straße. Auf der anderen Seite war das Restaurant voll mit dinierenden Konzertbesuchern.
Max saß an einem kleinen Tisch an der Wand.
»Wie sieht’s aus?« fragte er sofort.
»Nicht so gut.«
Gegen Mittag hatte Onno vom Neurologen erfahren, daß Adas Elektroenzephalogramm zum Glück nicht »flach« sei, wie er sich ausdrückte, jedoch ein »diffuses, ernsthaft verlangsamtes Bild« zeige. »Ich kenne diese Termini aus meinem Beruf«, nickte Max.
»Er sagte, vorläufig könnten noch keinerlei Prognosen gestellt werden. Erst wenn sich in zwei oder drei Monaten immer noch nichts an ihrem Zustand geändert hat, besteht Verdacht auf ein irreversibles Koma.«
»Und wenn man ein flaches EEG hat –.«
»Ist man eine Pflanze.«
Sie saßen da und schwiegen. »Aber gesetzt den Fall –«, begann Max zögernd. »Ada ist jetzt im fünften Monat – wenn es dann noch –.«
»Dem Kind scheint das alles nichts anhaben zu können.«
Plötzlich wurde Max bewußt, daß er im Moment der einzige war, der sagen konnte, was im Golf von Mexiko geschehen war. Aber selbst wenn es so bleiben würde, nützte ihm das gar nichts. Auch wenn Ada keinen Unfall gehabt hätte, hätte sie nie darüber gesprochen.
»Und dann?« fragte er behutsam.
»Ja, dann gibt es ein Problem. Aber vorläufig ist das noch nicht aktuell. Es ist alles erst in der vergangenen Nacht passiert, verstehst du? Ihre Mutter war heute nachmittag bei ihr, sie war früher Krankenschwester und meinte, sie hätte schon oft wochenlange Bewußtlosigkeiten erlebt.« Onno hörte es sich sagen, und zugleich sah er Adas regloses Gesicht auf dem Kissen, die schreckliche Sonde in ihrer Nase, und wie er heute nachmittag in der stillen Wohnung minutenlang ihr Cello angestarrt hatte wie einen Grabstein.
»Es ist also auf jeden Fall so«, sagte Max, »daß für das Kind keine Gefahr besteht?«
»Darüber waren sich alle einig.«
Der Ober reichte ihnen die Speisekarten, aber Onno machte eine abwehrende Geste und bestellte vier Kroketten und zwei Gläser Milch. Max hätte lieber gar nichts gegessen und bestellte nur einen Teller Gemüsesuppe. Er hatte den Eindruck, daß Onno optimistischer war als er. Er war beunruhigt über das, was Sophia auch zu ihm gesagt hatte, nachts.
»Geht das jetzt wieder los bei dir«, sagte Max, »deine Milchund-Kroketten-Tour.«
Onno seufzte tief. »Wenn ich ganz ehrlich bin – aber das darfst du wirklich niemandem erzählen –, ist das noch nicht mal das schlimmste. Viel schlimmer bin ich als komische Figur eines verheirateten Junggesellen.«
Max lächelte. Er wollte sagen, er selbst, der ja in allem Onnos Gegenteil war, wäre dann vermutlich die tragische Figur eines unverheirateten Ehemannes, doch das war zu doppeldeutig, um es laut zu sagen. Onno hatte es sich natürlich sofort dazugedacht und wußte auch, daß Max es dachte, aber er wußte es auch zu schätzen, daß er jetzt nicht in ihren üblichen Spötterton verfallen wollte. Max breitete die Serviette über seinen Schoß.
»Wie hat deine Schwiegermutter reagiert, als sie Ada sah?«
»Unbegreiflich. Sie hat ihre Tochter angeschaut, als sei sie irgendein beliebiger Patient. Nicht das geringste Gefühl, und das, obwohl ihr obendrein auch noch der Mann gestorben ist. Nein, stell dir vor, so eine Mutter zu haben. Ich habe es Ada nie glauben wollen, aber jetzt habe ich es mit eigenen Augen gesehen.«
»Zu mir war sie sehr nett«, sagte Max, ohne ihn anzusehen, »ich kann es nicht anders sagen. Sie hat mir ein Dach überm Kopf gegeben, meine Hose gebügelt und ein Ei für mich gebraten. Vielleicht tut sie sich schwer, sich mitzuteilen.«
»Na ja. Ich könnte dir einige von Adas Geschichten über sie erzählen, aber das werde ich nicht tun. Vielleicht kennst du sie ja auch. Übrigens, am Montag wird Brons eingeäschert, du bekommst noch eine Mitteilung. Kommst du auch, oder bist du dann wieder in Dwingeloo?« Er hielt inne. »Was ist mit dir? Du schaust auf einmal, als hättest du in die Hose gemacht.«
Max war plötzlich ganz woanders. Er bemerkte, daß er bei der Aussicht, Sophia zu begegnen, unter seiner Serviette eine Erektion bekam. Was bedeutete das, um Himmels willen?
Daß er sie, wie Ada und Onno, ebensowenig verstanden hatte wie sich selbst?
Mit einem Volkswagen, den er von seiner Autowerkstatt geliehen hatte, fuhr Max von der Sternwarte zum Krematorium in den Dünen bei Den Haag. Er hätte eigentlich in Dwingeloo sein müssen,
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