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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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gab.
    »Bist du eigentlich ein Mensch?« fragte er.
    »Ja, da fällt dir nichts mehr ein. Nur die Allerstärksten können so leben. Oben ist es etwas ordentlicher, aber da gehe ich nur noch hin, um zu schlafen.«
    Darauf, daß er vermutlich doch ein Mensch war, deutete Adas Cello: auf zwei geraden Stühlen, die neben seinem Schreib tisch mit den Sitzflächen zueinander standen, lag der Kasten wie ein Körper auf einer Bettstatt. Onno führte Max in das hintere Zimmer, in dem früher sein Bett gestanden hatte, und machte eine Ecke der durchgesessenen Couch frei; Bücher, Zeitungen, ein Paar graue Socken und ein Toaster wurden beiseite geschoben, und im Augenwinkel sah Max auch das Buch von Fabergé, das er Ada am ersten Tag damals geschenkt hatte.
    »Ich war heute morgen in der Klinik«, sagte Onno. »Am Donnerstag ist es soweit, um halb fünf. Oh, das weißt du ja noch gar nicht: die Ärzte –.«
    »Ich weiß Bescheid. Ich habe mit deiner Schwiegermutter gesprochen. Deshalb bin ich hier.«
    Onno hatte sich in einen kleinen Sessel sinken lassen, der noch aus seiner Studentenzeit stammte; an den Seiten wies das braune Leder Streifen und Kratzer auf, vielleicht von einer längst verschiedenen Katze, die dort einmal ihre Krallen geschärft hatte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er ihn an.
    »Du hast mit meiner Schwiegermutter gesprochen?«
    Man kann jemanden seit Jahren kennen, aber wenn man dann gefragt wird, welche Augenfarbe der andere hat, muß man oft passen, weil man ihm nicht in die Augen schaut, sondern auf die ganze Person. Zum ersten Mal sah Max, daß Onno um die blaue Iris einen braunen Rand hatte.
    »Ja.«
    »Ich höre.«
    Alles hing nun vom richtigen Ton ab. Max hatte sich auf das, was er sagen wollte, nicht vorbereitet, denn dann müßte er sich daran erinnern, was er vorbereitet hatte, doch jetzt ging es darum, die richtigen Dinge in der richtigen Weise zu sagen.
    »Hör zu, Onno, ich will keine Umschweife machen. Vorgestern hast du mir von deinem Dilemma erzählt, bei wem dein Kind untergebracht werden soll. Da ich das Gefühl hatte, vielleicht irgendwie helfen zu können, habe ich mich gestern mit deiner Schwiegermutter in Verbindung gesetzt. Sie hat mir zwei Dinge erzählt. Erstens, daß das Kind am kommenden Donnerstag durch einen Kaiserschnitt entbunden wird, da Adas Zustand vielleicht kritisch wird.«
    »Was vielleicht für alle das beste wäre. Und zweitens?«
    »Zweitens, daß auch sie angeboten hat, für das Kind zu sorgen. Aber du wolltest nicht, daß es bei einer alleinstehenden Frau aufwächst.«
    Max wartete einen Augenblick, um zu sehen, ob Onno verstand, worauf es hinauslief, aber nichts deutete darauf hin.
    Onno hörte mit dem unangenehmen Gefühl zu, daß man ihm zu nahe trat, auch wenn es sein bester Freund war. Offenbar wurden nicht nur in seiner unmittelbaren Verwandtschaft hinter seinem Rücken Gespräche geführt, die einen direkten Bezug zu seinem Leben hatten. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, worauf Max hinauswollte.
    »Das stimmt«, nickte er. »Und weiter?«
    »Ich habe mich mit ihr verabredet, und vorhin haben wir uns wieder getroffen, im Bahnhofsrestaurant. Ich komme gerade von dort.«
    Was um Himmels willen wurde hier gespielt? Onno setzte sich auf.
    »Ist das alles nicht ein wenig seltsam? Sie hat mir nichts von einer Verabredung mit dir gesagt.«
    »Das war auch nicht so gedacht.« Er suchte nach Worten.
    Jetzt würde er es zum zweiten Mal sagen. »Halte dich fest, Onno. Ich habe ihr vorgeschlagen, daß sie und ich uns um euer Kind kümmern.«
    »Sag das noch mal.«
    »Es steht jetzt so gut wie fest, daß ich Teleskopastronom in Westerbork werde, und in absehbarer Zeit werde ich vermutlich definitiv nach Drenthe ziehen.«
    »Wovon redest du die ganze Zeit? Ich kann mich erinnern, daß du dich da wie ein nach Sibirien verbannter Verbrecher fühlen wolltest.«
    »In mir haben sich einige Dinge verändert, Onno. Deine Schwiegermutter ist bereit, zu mir zu ziehen, so daß dein Kind dann in guten Händen wäre.«
    Onno war zumute, als sähe er eine Stadt einstürzen und dann aus den Trümmern wiedererstehen in Gestalt einer anderen – Amsterdam, das sich in Rom, der Palast auf dem Dam, der sich in den Petersdom verwandelte. Vor Jahren, an einem Winterabend, der Schnee hatte jedes Geräusch verschluckt und er war ganz in seine Bilder mit den etruskischen Inschriften vertieft, sah er plötzlich, wie sich alles zu einer neuen Konstellation verschob, kippte, umklappte – seine

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