Die Entdeckung des Himmels
Sie sich in dieser Funktion Onno angeboten haben, daß er aber meinte, in eine Familie gehöre ein Mann.
Nun gut, das bin dann ich. Eine Durchschnittsfamilie wird es nicht sein, aber sie wird trotzdem solche Züge haben. In einem höheren Sinne wäre es vielleicht sogar eher eine Familie als normale Familien.«
Was er mit letzterem meinte, war ihm in diesem Moment selbst nicht ganz klar, aber das würde sich sicher noch ergeben. Sophia wandte den Kopf ab und sah hinaus. Ihr unerbittliches Profil erinnerte ihn plötzlich an das einer Frau auf einem Gemälde von Franz von Stuck, Sphinx: In der Haltung einer Löwin lag sie am Ufer eines düsteren Bergsees nackt auf dem Bauch, hatte den Oberkörper aufgerichtet und die Finger zu Krallen gekrümmt. Er konnte nicht sehen, was Sophia jetzt dachte, aber sie hatte zumindest nicht sofort abgelehnt.
»Weißt du eigentlich, was du da sagst?«
»Ich weiß nicht immer, was ich sage, denn sonst würde ich nie etwas Wichtiges sagen; aber was ich jetzt gesagt habe, habe ich mir von allen Richtungen her überlegt. Ich weiß, daß es mein Leben vollkommen verändern wird, und Ihres ebenso.
Aber das sind wir Ada schuldig. Oder vielleicht sind wir es ihr auch nicht schuldig, aber gerade in diesem Fall sollten wir es tun, obwohl wir es ihr nicht schuldig sind.« Er legte die Zeitung beiseite und setzte sich gerade. »Das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Es müßte jetzt natürlich allerhand geregelt werden, ich muß ein Haus finden mit ausreichend Platz für uns drei, irgendein altes Pfarrhaus vielleicht. Sie müßten das Antiquariat veräußern, aber dafür gibt es immer Lösungen. Mein Gehalt ist nicht gerade üppig, aber es gibt Familien, die mit weniger auskommen müssen; auf dem Lande ist abgesehen davon alles billiger, vor allem, wenn man beim Bauern einkauft.« Er machte eine fragende Geste. »Ich könnte mir vorstellen, daß Sie sich etwas überrumpelt vorkommen und einige Tage in Ruhe darüber nachdenken wollen, also –.«
»Ich brauche nicht darüber nachzudenken«, sagte sie und sah ihm gerade in die Augen.
»Denn?«
»In den letzten Monaten ist mein Leben – ich meine –.
Wenn Onno einverstanden ist –.«
Er hätte jetzt gern ihre Hand in die seine genommen, bezwang sich aber. Zum ersten Mal sah er so etwas wie einen Riß in ihrem Panzer.
»Ist er jetzt zu Hause?«
»Ich glaube schon.«
»Dann gehe ich nachher bei ihm vorbei. Ich werde Sie sofort verständigen, wie es ausgegangen ist; es wäre, glaube ich, besser, wenn ich alleine gehe.« Er sah, daß er sie jetzt überforderte mit seiner Tatkraft. »Wichtige Entscheidungen muß man immer sehr schnell treffen, sonst wird nichts daraus.« Er lachte.
»Onno wird Augen machen – und sei es nur, weil ich bei ihm läute. Das hat es noch nie gegeben.«
Anders als Max besaß Onno die Gabe, seine Aufmerksamkeit von einem Moment auf den anderen total umzuschalten wie jemand, der von einem Zimmer ins andere geht und die Tür hinter sich schließt. Die Nachricht, daß sein Kind in fünf Tagen auf die Welt kommen würde und er sich jetzt sehr schnell entscheiden mußte, hatte ihn beschäftigt, bis er den Schlüssel ins Schloß steckte. Er war mit seiner Schwiegermutter einer Meinung, daß die Entscheidung für Hans und Hadewych die schlechtere wäre, aber da er keine weniger schlechte, sondern eine gute Wahl treffen wollte, konnte er sich noch immer nicht dazu durchringen, den Knoten durchzuschlagen. Als er aber in sein Arbeitszimmer kam und sein Blick auf die Parteiunterlagen fiel, vergaß er das Problem und war bald vollkommen in die Lektüre vertieft.
Es läutete, und er stand mechanisch auf und öffnete die Tür, ohne seine Gedankengänge zu unterbrechen. Als er Max vor sich sah, kam er verwundert zu sich.
»Das ist aber sehr unüblich«, sagte er.
»Danke für den herzerwärmenden Empfang. Ich weiß, du gehörst nicht zur Spezies der Gastgeber, aber ich habe etwas mit dir zu bereden.«
»Salve.«
Max folgte ihm ins Souterrain, das nach einer Zeit bescheidener Ordnung wieder in den Griff des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik geraten war: die Unordnung schmerzte ihn fast körperlich. Sprachlos schaute er in das Chaos. Er selbst konnte minutenlang mit dem Ordnen seiner Instrumente auf dem Schreibtisch beschäftigt sein, dem Magneten, dem Kompaß, der Stimmgabel, wobei es auf jeden Millimeter ankam, doch hier war nicht einmal der Anflug eines Bewußtseins vorhanden, daß es so etwas wie Ordnung überhaupt
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