Die Entdeckung des Himmels
einfach –.«
»Und ob ich kann!«
»Sei kein Narr. Das kannst du doch nicht so im Handumdrehen entscheiden.«
»Das habe ich bereits.«
»Wie stellst du dir das denn vor? Hast du dir denn die Konsequenzen auch überlegt? Bist du sicher, daß dir das nicht leid tun wird? Ich finde im übrigen nicht, daß man so etwas am Telefon besprechen sollte. Kannst du nicht –.«
»Es gibt nichts zu besprechen, ich wollte dich nur davon in Kenntnis setzen. Hans und Paula bekommen beide einen netten Brief von mir mit meinem aufrichtigen Dank für ihr Angebot, aber ich sehe nicht ein, was diese Lösung für Konsequenzen haben sollte. Ich kann nicht in die Zukunft blicken, aber warum sollte mir das leid tun?«
Es dauerte einige Sekunden, bevor Dol antwortete.
»Weil – ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll. Ich selbst finde das ja auch nicht, aber ich könnte mir vorstellen, daß jemand der Meinung ist –. Schau, gegen deine Schwiegermutter ist natürlich wenig einzuwenden, aber –.«
»Gegen wen denn dann?« fragte er und spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. »Oder besser: gegen wen sonst noch? Sag doch endlich, was du meinst.«
»Ja, ich möchte dich nicht kränken, Onno, aber dein Freund Max –. Er schien mir ein sehr interessanter Mann, good looking auch, aber – er ist doch nicht einer von uns.«
»Et tu, Brute!« schrie Onno. »Du meinst, daß er der Sohn einer Jüdin und eines Kriegsverbrechers ist, der Sohn von allem, was Gott verboten hat, und nicht der Sohn anständiger Christenmenschen, die jahrhundertelang die Kolonien ausgeplündert haben!
Das ist es doch, was du meinst! Und daß so ein Typ nicht in Frage kommt, um einen Quist zu erziehen! Nein, aber jetzt bin ich mir vollkommen sicher, ich bin froh, daß du es gesagt hast, danke für deine Hilfe.«
Am nächsten Morgen, am Sonntag, bereute er seinen Wutanfall und rief sie wieder an. Sein Schwager meldete sich, Dol sei mit dem Hund spazierengegangen, in ihrem Namen nehme er die Entschuldigung an, im nachhinein hätte sie es wohl verstanden. Übrigens, begann er, seien sie gestern abend noch in der Statenlaan gewesen – aber da Onno sofort merkte, daß Karel über diesen Umweg Max dennoch zur Diskussion stellen wollte, fiel er ihm ins Wort und sagte, es sei ihm egal, was seine Eltern gesagt hätten, sein Beschluß stehe fest: so und nicht anders werde es gemacht, es sei sinnlos, alles noch einmal durchzukauen, die Verwandtschaft solle sich damit abfinden. Anschließend telefonierte er mit Max und Sophia hin und her, und sie vereinbarten, daß er im Laufe des Nachmittags mit Max nach Leiden kommen werde; Max hole ihn an der Krankenhauspforte ab.
Weshalb Onno Ada fast jeden Tag kurz besuchte – in der letzten Zeit meist außerhalb der offiziellen Besuchszeiten –, war ihm selbst nicht ganz klar. Für Ada brauchte er es nicht zu machen, es war eher ein Besuch an einem Grab als an einem Krankenbett. Aber in diesem paradoxen Grab ging nicht ein verstorbener Körper langsam in Verwesung über, sondern ein ungeborener nahm im Gegenteil Gestalt an. Während Onno mit verschränkten Armen bei Ada stand, kam die Oberschwester zu ihm und sagte, Doktor Melchior, der Chirurg, lasse fragen, ob er kurz bei ihm hereinschauen könne; er sei in seinem Zimmer im Pavillon gegenüber.
»Übrigens, da ich gerade mit Ihnen spreche: erlauben Sie, daß das Haar Ihrer Frau etwas kürzer geschnitten wird? Bisher haben wir es mehr oder weniger in derselben Länge gehalten, aber aus hygienischen Gründen –. Unter Umständen wäre es bald wieder nachgewachsen.«
Onno begriff, daß er das nicht verweigern konnte, ebensowenig wie er fordern konnte, sie jeden Morgen zu schminken.
Er nickte, drückte einen Kuß auf Adas seidiges Haar und verließ das Krankenzimmer, ohne mit der Schwester noch einen Blick zu wechseln.
Er fragte sich, was Melchior von ihm wollte, er hatte doch gerade gestern erst mit ihm gesprochen. Unterwegs bemerkte er wieder, daß das Personal ihn auf eine ganz bestimmte Art und Weise ansah: jeder wußte mittlerweile, wer er war, und in welchem Zustand sich seine Frau befand. Es schien, als ob manche sehen wollten, wie jemand sich in seiner Lage fühlte, und die meisten machten den Eindruck, als ob sie ihm helfen wollten, indem sie ihn ansahen.
Mit seinem fleischigen, runden Gesicht, dem Buckel und dem verwachsenen Bein kam der kleine Chirurg hinter seinem Schreibtisch hervor und schüttelte ihm die Hand. Er trug einen weißen, kurzärmeligen
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