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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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unbedingt lebensgefährlich sein. Für das Kind ist es auf alle Fälle kein Problem, es ist schon gut sieben Monate.«
    Max überlegte, daß es vielleicht das beste wäre, wenn Ada die Geburt nicht überlebte, und Sophia jetzt wahrscheinlich denselben Gedanken hatte, aber er hatte nicht den Mut, das auszusprechen.
    »Und Onno?«
    »Der begreift natürlich auch, daß etwas in der Luft liegt, aber er sagt, daß er lieber heute als morgen Vater würde.«
    Max hörte es ihn mit einer breiten Geste verkünden, worauf der Chirurg nichts erwiderte, weil er mehr wußte als er.
    Vermutlich glaubte er, Onno fehle jegliches Gefühl für den Ernst der Lage.
    »Wenn alles gutgeht«, sagte Max, »bedeutet das also, daß das Kind schon in einigen Wochen ein Heim braucht. Hat Onno sich schon entschieden?«
    Verwundert sah Sophia ihn an.
    »Das klingt ja geradezu so, als würdet ihr euch nie mehr sehen. Ist etwas zwischen euch?«
    »Nein«, sagte Max und erwiderte ihren Blick. »Wieso? Ich habe vorgestern zuletzt mit ihm gesprochen.« Er schlug den Blick nieder und faltete die Zeitung zusammen.
    »Wir haben gerade in der Straßenbahn darüber gesprochen«, sagte Sophia, »aber er ist noch immer nicht soweit. Er hat mich gefragt, was ich ihm raten würde.«
    »Und wozu haben Sie geraten?«
    »Meiner Meinung nach sollte er es nicht von einem Beamten durch die ganze Welt schleppen lassen, sondern sich für seine Nichte Paula entscheiden, in Rotterdam. Außerdem wird er eines Tages eine andere Frau kennenlernen, und dann kann er es immer noch zu sich nehmen.«
    An diese Möglichkeit hatte Max noch nicht gedacht. Ja, auch das war natürlich denkbar, aber es würde nicht geschehen. Er erinnerte sich, was Onno gleich am ersten Tag nach dem Unfall zu ihm gesagt hatte: daß er das Alleinsein nicht als das Schlimmste empfände, da er die komische Figur des verheirateten Junggesellen sei. Sicher, eines Tages würde er einer anderen Frau begegnen, aber er würde nie mehr mit jemandem zusammenziehen.
    »Haben Sie ihm das gesagt?«
    »Natürlich nicht.«
    Max schüttelte den Kopf.
    »Soweit ich ihn kenne, wird er für den Rest seines Lebens Junggeselle bleiben, das heißt, als Junggeselle leben.«
    Schweigend stand der Ober mit Kugelschreiber und Block an ihrem Tisch und sah von einem zum anderen. Sie bestellten beide einen halben strammen Max, obwohl er vermutlich ebenso unappetitlich sein würde, wie der Kellner plump. Mit dem Fingernagel zeichnete Max Gitter in einen Fleck auf dem schlecht gewaschenen Tischtuch.
    »Und wenn«, sagte er langsam, ohne den Blick zu heben, »wir es nun machen würden –?«
    »Was machen würden?«
    »Adas Kind in unsere Obhut nehmen.«
    Es war heraus. Plötzlich war es in der Welt, wie ein Gegenstand, ein Meteorit, der in die Atmosphäre eindrang. Er sah ihr in die Augen und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, aber er sah keine Regung.
    »Wir sollen Adas Kind in unsere Obhut nehmen? Du und ich? Wie stellst du dir das vor?«
    Kurz lag es ihm auf der Zunge zu sagen: Laß uns doch um Himmels willen endlich aufh ören mit diesem Theater, Sophia, das hat doch jetzt weiß Gott lange genug gedauert; ich bin dir verfallen, ich kann nicht mehr ohne dich, und das weißt du auch; sogar wenn ich dir deinen Mantel abnehme, denke ich an diese Dunkelheit unserer Leidener Nächte, und das gilt sicher auch für dich. Aber angenommen, er hätte es ausgesprochen, und sie hätte darauf geantwortet: Ja, du hast vollkommen recht, es muß endlich Schluß sein mit diesem Theater – hätte er dann noch gewollt, daß sie zu ihm zog mit Adas Kind? Er wußte allzugut, daß es gerade diese unbegreifliche Geheimhaltung war, der er seine Seele verkauft hatte: dasjenige, was sie nicht nur vor der Welt verborgen hielten, sondern auch voreinander, und sie vielleicht sogar vor sich.
    »Sie führen«, sagte er, »seit dem Tod Ihres Mannes das Lob der Torheit , aber meiner Meinung nach wird das nicht lange gutgehen. Ich werde demnächst vermutlich nach Drenthe ziehen, weil ich dort eine Stelle als Teleskopastronom bekomme, in Westerbork. Ihre Tochter wird kommenden Donnerstag von einem Kind meines besten Freundes entbunden. So liegen die Dinge. Ada ist nicht mehr von dieser Welt, Onno muß sein Kind in fremde Hände geben, mir ist der Gedanke unangenehm, allein in der Provinz zu leben, und Sie haben in Leiden nicht mehr viel verloren. Alle fünf sind wir allein –. Sie haben gesagt, daß eine Großmutter traditionell der Babysitter ist und daß

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