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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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hob zwei Finger und sprach:
    »Ich schwöre.«
    Daraufh in erzählte ihm Onno, was sich gerade zugetragen hatte. Auch Max war vom plötzlichen Auftauchen des äußersten Ernstfalls schockiert. Entscheiden über Leben und Tod – wie Onno hatte er nie gedacht, daß dies einmal in seinem Leben passieren könnte. Ärzte, Soldaten, Politiker – gut, aber doch nicht Astronomen; also immerhin noch eher Onno als er.
    »Als ich sagte, daß wir unser Gespräch vielleicht ein andermal fortsetzen könnten, sagte er, es gebe eigentlich nicht viel fortzusetzen. Das bezog sich natürlich nicht auf unser Gespräch, sondern auf Adas Leben. Er sieht aus wie Quasimodo, der Glöckner von Notre-Dame, aber von meinem Schwager weiß ich, daß er fachlich eine Kanone ist. Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    Vielleicht war er an seiner Stelle. Plötzlich arbeitete Max’
    Gehirn scharf und schnell.
    »Ich würde«, sagte er, »versuchen herauszufinden, ob dieser Neurologe und dieser Chirurg tatsächlich zu hundert Prozent davon überzeugt sind, daß Ada wirklich hirntot ist, das heißt, daß sie nicht mehr die Spur einer Individualität besitzt.
    Denn auch wenn es noch so wenig ist, wäre es Mord. So eng sehe ich das. Angenommen, es ist soviel wie bei einem einjährigen Kind, dann darf es nicht sein. Aber wenn wirklich gar nichts mehr da ist, null Prozent, wirklich nur noch eine Pflanze, dann bedeutet es nichts. Dann ja.«
    »Letzte Woche hast du anders gesprochen. Da hatte ich das Gefühl, daß für dich nicht einmal die Toten getötet werden dürften, um es einmal so zu sagen.«
    »Das war die Phantasie«, nickte Max.
    »Aber wie komme ich dahinter, was dieser Quasimodo wirklich denkt? Ich kann ihn doch nicht einfach fragen, denn dann ist es sofort gelaufen. Und diesen Neurologen Stevens kann ich auch nicht fragen, denn Melchior hat ihn natürlich nicht informiert.«
    Im selben Augenblick fiel Max etwas ein.
    »Weißt du, was du machen mußt? Dich beiläufig erkundigen, ob Ada eine Teil- oder eine Vollnarkose bekommt. Wenn er sagt, daß er sie gar nicht narkotisiert, weil sie über keinerlei Perzeption mehr verfügt, dann ist die Frage gelöst; aber wenn er Teil- oder Voll-sagt, dann weißt du, was es geschlagen hat.«
    »Hier erkennen wir den exakten Wissenschaftler!« rief Onno aus. »Aber wenn ich ihn das frage, riecht er vermutlich Lunte, denn dumm scheint er mir nicht zu sein. Vielleicht ist es besser, unter irgendeinem Vorwand meinen Schwager einzuschalten, er ist Gehirnchirurg, wie du weißt; diese Metzger kennen sich doch alle. Aber nein«, sagte er und bewegte den Zeigefinger hin und her, »er wird vielleicht sagen, daß ein Kaiserschnitt nie mit örtlicher Betäubung durchgeführt wird, und ist dann natürlich gleich alarmiert, denn jeder hat mit Sicherheit schon an diese Möglichkeit gedacht, vor allem der brave Karel, der, was seinen Charakter anbelangt, vielleicht sogar dafür zu haben wäre, wenn er nicht letztendlich doch ein Christenhund wäre. Es darf kein anderer hineingezogen werden.« Er sah wieder zur Seite. »Ich weiß eine bessere Lösung. Du mußt es herausbekommen.«
    Max sah kurz zu ihm und dann wieder auf die Straße.
    »Wie stellst du dir das vor?«
    »Du mußt am Tag davor mit der OP-Schwester anbandeln und versuchen, von ihr zu erfahren, ob Ada betäubt wird – wenn nötig, im Bett. Egal, wie sie aussieht. Dann bekommt diese abstoßende Promiskuität, die du betreibst, endlich einen Sinn.«
    Max lächelte. Jetzt, da die Promiskuität einen Sinn bekommen würde – auch wenn Onno es natürlich nicht ganz ernst meinte –, gab es sie nicht mehr.
    »Der Erfolgt scheint mir nicht garantiert.«
    »Plötzlich schüchtern, oder was?«
    »Hör mal, vielleicht ist sie lesbisch, bei Krankenschwestern weiß man nie so genau. Da könnte ich dir Sachen erzählen.
    Es gibt bestimmt einen besseren Weg. Wenn ich mich nun in den nächsten Tagen ein wenig informiere über diese anästhetischen Praktiken –«
    »Anästhesiologischen. Anästhetika sind Rauschmittel.«
    »– so daß ich sehen kann, ob die Geräte eingeschaltet sind, und so weiter. Dann gehe ich am Donnerstag einfach versehentlich in den OP. So etwas ist in Amsterdam immer möglich. Danach sage ich dir Bescheid; als Ehemann begleitest du die Trage bis zum Eingang des Operationssaals, wo sie dich nicht hineinlassen werden. Dann bittest du darum, kurz den Chirurgen sprechen zu können, und läßt unter vier Augen deine Entscheidung

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