Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
durchblicken.«
    Nachdenklich sah Onno auf das kleine Spielzeugauto auf drei Rädern, das vor ihnen fuhr und nicht von der linken Spur weichen wollte.
    »Genau«, sagte er. »So machen wir das, companero. Was würde ich bloß ohne dich anfangen?«
    »Nichts.«

    Als sie sich an diesem Nachmittag bei Tee und Gebäck im Zimmer hinter dem Antiquariat zum ersten Mal zusammengesetzt hatten, mußte Onno sich erst einmal an den neuen Status gewöhnen: Max als Ziehvater, Sophia als Ziehmutter, er selbst als Witwer einer noch lebenden Frau. Er fühlte sich unwohl und war verlegen, aber Sophia war sachlich wie immer und schien sich völlig auf die veränderten Umstände eingestellt zu haben, wie jemand, der einfach seine Stellung gewechselt hatte. Max hingegen wußte, daß nur sie und er selbst wußten, daß das neue Verhältnis, in dem sie nun zueinander standen, eine Fassade war, hinter der sich ein ganz anderes Verhältnis verbarg, das seinerseits ebenfalls Fassade war, hinter der es nur noch Chaos und Unsicherheit gab. Jetzt, da sich zu diesem Bewußtsein auch noch der Plan gefügt hatte, den sie unterwegs geschmiedet hatten, war ihm, als gleite auch er in eine Art Narkose. Am liebsten wäre er über Nacht im Lob der Torheit geblieben, um in den Armen der Nacht-Sophia zu versinken, aber das war selbstverständlich ausgeschlossen, solange Onno da war.
    »Auf Wiedersehen, Frau Brons.«
    »Tschüs, Max.«
    Das nächste Konklave war am Dienstagabend bei Onno zu Hause, aber es hatte eigentlich nicht mehr viel zu bereden gegeben. Über die finanzielle Seite der Angelegenheit waren sie sich schnell einig geworden, und der Verkauf des Antiquariats war inzwischen ebenfalls geregelt. Darüber hatte Onno nicht lange nachdenken müssen: Aus dem unerschöpflichen Reservoir seiner Verwandtschaft war ein Neffe aufgetaucht, der nie etwas getaugt hatte, jetzt aber Direktor einer großen Maklerfirma war; er hatte ihn angerufen und ihm befohlen, das Objekt zu einem Wucherpreis zu veräußern, ohne selbst eine Gebühr zu nehmen, andernfalls würde er ihn auf der Stelle anzeigen. Und was den Umzug nach Drenthe betraf, so hatte Max am Vormittag mit dem Direktor der Sternwarte gesprochen, der geheimnisvoll gelächelt und angedeutet hatte, unter Umständen etwas Schönes in Aussicht zu haben. Das klang gut und auf alle Fälle nicht nach einem Einfamilienhaus in einem Neubauviertel. Zudem bedeutete es, daß seine Anstellung als Teleskopastronom an der neuen Sternwarte so gut wie feststand.
    Nachdem sie noch dies und das besprochen hatten, erledigte Sophia den fälligen Abwasch, saugte Staub und schaltete die Waschmaschine ein. Onno fühlte sich sofort an Adas ersten Besuch erinnert: Ada hatte mehr Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, als sie selbst ahnte oder geahnt hatte. Während Sophia oben beschäftigt war, brachte Max vor, daß sie sie eigentlich über ihr anästhesiologisches Vorhaben in Kenntnis setzen sollten. Erstens habe sie Ahnung davon, und zweitens gehe es immerhin um ihre Tochter. Aber nach Onnos Meinung war dies nun gerade ein Grund, sie herauszuhalten: als Mutter würde sie niemals am Tod ihres Kindes mitarbeiten, selbst wenn es lebenslänglich bewußtlos war. Max war sich da nicht ganz so sicher, aber er konnte sich schlecht anmerken lassen, sie besser zu kennen als Onno. Der wesentlichste Grund jedoch, weshalb sie nicht in die Sache hineingezogen werden durfte – und da war Max mit ihm einer Meinung –, war, daß Melchior nicht in Gefahr gebracht werden durfte: Er riskierte Kopf und Kragen und war bereit, ein großes Tabu zu brechen, und er hatte seinen verkappten Vorschlag ausdrücklich in Sophias Abwesenheit gemacht.
    Am Mittwochmorgen – nachdem er in Leiden übernachtet hatte, da es doch eigentlich Unsinn war, wieder zurück nach Amsterdam zu fahren – ging er zur Universitätsklinik.
    Er hatte sich vorgenommen, sich dort als Autor von Arztromanen auszugeben, der im Zuge seiner Recherchen gerne einen kurzen Blick in den OP werfen und sich dann erklären lassen wollte, wie die Narkosegeräte funktionierten. Als er jedoch am Eingang stand und sich an die Katastrophennacht von vor drei Monaten erinnerte, verließ ihn plötzlich der Mut.
    Er beschloß, erst einmal in die Bibliothek der medizinischen Fakultät zu gehen.
    Während sich neben ihm zwei Studenten flüsternd über das Theater Carré in Amsterdam unterhielten, das morgen nach einer musikalischen Darbietung besetzt werden sollte – der Schriftsteller und der Komponist,

Weitere Kostenlose Bücher