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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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banale Reminiszenz des üblichen Raumzeit-Diagramms in der relativistischen Literatur war: der ›Lichtkegel‹ eines Ereignisses.
    Innerhalb einer Stunde konnte die Katastrophe eine Tatsache sein, wenn sich auf irgendeine Weise herausstellte, daß er der Vater war.
    Onno setzte sich zu ihnen und sagte:
    »Ich habe gerade mit dem Anästhesisten gesprochen.«
    Mit einem Ruck sah Max auf, aber im selben Augenblick war ihm klar, daß er sich beherrschen mußte, um Sophia nicht merken zu lassen, was Onno und ihn beschäftigt hatte.
    »Und?« fragte Sophia.
    Ohne Max anzusehen, berichtete er ihr, eigentlich aber ihm, von dem Gespräch. Max begriff, daß er sich mit seinen Nachforschungen noch viel dämlicher verhalten hatte, als er bereits vermutete. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der geglaubt hatte, die Trillerpfeife des Stationschefs setze den Zug in Bewegung, und jetzt mit wenigen Worten zu hören bekam, daß alles ganz anders funktionierte. Er schämte sich, nicht so sehr als Freund Onno gegenüber, denn auch Onno hatte schließlich etwas von diesem Plan gehalten, sondern als Mann der Wissenschaft – was würden seine Kollegen wohl sagen, wenn sie davon erführen. Wie hatte er es sich eigentlich in den Kopf setzen können, eine Frage von Leben und Tod ganz allein und innerhalb weniger Stunden lösen zu wollen, und das in einem völlig unbekannten Gebiet, das zu überschauen andere zehn Jahre studierten! Wurde ihm die Anspannung langsam zuviel? Vielleicht mußte er allmählich etwas mehr aufpassen.
    Eine Krankenschwester fragte, ob sie vielleicht eine Tasse Tee wollten; nur Max lehnte dankend ab. Nach Sophias Meinung bekam Ada über einen Tropf eine Vollnarkose, bei einer örtlichen Betäubung müsse man sich unter normalen Umständen aufsetzen und vornüberbeugen, mit dem Kopf zwischen den Knien, was in Adas Zustand jedoch nicht möglich sei; es gehe aber auch im linksseitigen Liegen, sie gehe aber nicht davon aus, daß es in Adas Fall so gemacht werde. Onno sagte, das wichtigste sei, daß dem Kind nichts fehle, aber er sei sich da nicht ganz sicher, obwohl die Ärzte behaupteten, daß es keinen Grund zur Beunruhigung gebe. Sophia meinte, daß auch ein Kinderarzt dabeisein werde, zu ihrer Zeit sei das auf jeden Fall so gewesen, aber das sei schon lange her. Ab und zu wurde ihr Gespräch durch Schweigen unterbrochen. Es war ihnen bewußt, daß Ada jetzt unter der riesigen Lampe auf dem Operationstisch lag und geöffnet wurde.
    »Alles ist kurz davor, sich zu verändern«, sagte Onno plötzlich feierlich. »Das Kind wandelt sich von der Frucht zum Menschen, Ada von einer Tochter zur Mutter, Sie von einer Mutter zur Großmutter und ich von einem Sohn zum Vater.«
    Dann sah er Max an. »Nur du veränderst dich nicht. Das sieht dir wieder einmal ähnlich.«
    Max nickte. Er hätte jetzt gerne gebetet, daß er sich als so unveränderlich erweise wie ein Stein.
    »An jedem dreißigsten Mai«, sagte Sophia nach einer Weile, »werden wir von jetzt an also Geburtstag feiern. Wartet mal – das bedeutet, daß es ein Zwilling wird.«
    »Ein Zwilling}« wiederholte Onno mit Abscheu und sah sie ungläubig an. »Das ist nicht Ihr Ernst.«
    »Wie meinst du das? Ende Mai ist doch Zwilling?«
    » Ende Mai ist Zwilling – «, wiederholte Onno mit einem sarkastischen Unterton. »Sie werden mir doch jetzt nicht etwa erzählen, daß Sie an diesen Blödsinn glauben? Sie sind wie meine Mutter, sie kombiniert Astrologie und Christentum, und Sie mischen offenbar den Humanismus drunter.
    Die Astrologie als umfassende Weltreligion. Aber gut, lassen Sie nur, ist ja alles entschuldigt durch jahrhundertealte Tradition. Max’ Beruf würde es ohne die Astrologie wohl kaum geben.«
    »Unsere Vorfahren, die Astrologen«, nickte Max. Zwilling, dachte er und erinnerte sich im selben Augenblick an Eng und Chang, aber das behielt er für sich. Angenommen, da oben würde jetzt tatsächlich ein siamesischer Zwilling geboren – oder ein zweieiiger, ein Kind von Onno, das andere von ihm.
    – War so etwas möglich?
    »Und Sie«, fragte Onno Sophia und hatte noch immer einen leicht sarkastischen Ton in der Stimme, »was sind Sie?«
    »Jungfrau.«
    »Das höre ich gern, Mutter. Das macht auf mich einen durch und durch anständigen Eindruck.«
    Immer wenn Onno ›Mutter‹ zu Sophia sagte, wurde Max ganz mulmig, als ob er selbst damit so etwas wie Onnos ›Vater‹ würde.
    »Ich glaube kein bißchen daran«, sagte Sophia und zeigte auf die

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