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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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vorausberechnen.
    Bestimmt jemand aus dem achtzehnten Jahrhundert. Das können ja nicht einmal wir!
    Auf dem Gebiet der umstürzenden Bäume sind wir schon ein ganz schönes Stück vorangekommen.
    Erzähl, warum mußte dieses arme Kind einen so schrecklichen Unfall haben?
    Weil wir sonst den Auftrag nicht hätten ausführen können.
    Bei allem, was ich getan habe, hatte ich immer nur ein Ziel vor Augen: das Retournieren des Testimoniums.
    Gut, schon verstanden, daß du nicht antworten willst. Offenbar geht es dir gegen deine Berufsehre, und das respektiere ich.
    Später wird es mir schon einleuchten.
    Ihnen sicherlich. Früher hatten wir es leichter.
    Was meinst du?
    Als wir in bestimmten Fällen noch einfach das Wort an die Menschen gerichtet haben.
    Aber damit haben wir ganz schnell aufgehört, nachdem diese Wesen auf die Idee gekommen sind, daß es nicht unsere Stimme war, die sie hörten, sondern ihre eigene, innere Stimme. Das konnten wir uns natürlich nicht bieten lassen. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß auf Erden die Technologie immer mehr an die Stelle der Theologie tritt, aber die Psychologie braucht sich in dieser Hinsicht wahrlich nichts einzubilden.
    Es ist nach wie vor schade, daß es so gekommen ist. Himmel und Erde sind nun einmal ausschließlich durch das Wort miteinander verbunden, und gerade die derzeit laufende Operation hat das einmal mehr gezeigt.
    Genau. Diese Operation war der Punkt, den wir hinter diesen Dialog gesetzt haben.
    Es wäre zu schön, wenn die Menschen sich zu Tode erschrecken würden, wenn sie hörten, was geschehen ist: daß das Testimonium zurückgebracht worden ist. Und noch schöner wäre es, wenn sie dieser Schock zur Besinnung bringen würde.
    Keiner wird es je wissen. Und überhaupt: Besinnung? Daß ich nicht lache. Hast du wirklich gedacht, diese Brut würde von was auch immer Abstand nehmen? Keine Spur. Was sie einmal haben, wollen sie behalten. Diese Ausgeburt von einem Luzifer hat ihre Angelegenheiten vorzüglich geregelt. Mit jeder neuen Erfindung haben uns die Menschen einen Teil unserer Allmacht abspenstig gemacht und auf diese Weise Schritt für Schritt ihre eigene Realität dämonisiert. Luzifer hat sie vertraglich in Vampire verwandelt, die uns unter seiner Schirmherrschaft aussaugen. Mit ihren Raketen bewegen sie sich schon schneller als der Wind, als der Schall sogar, und eines Tages werden sie hart an der Lichtgeschwindigkeit sein; mit ihrem Fernseher sind sie im Grunde schon fast allgegenwärtig, sie können im Dunkeln sehen, sie können das Innere eines Menschen betrachten, ohne ihn zu öffnen, mit ihren Computern besitzen sie ein totalitäres Steuerungs- und Kontrollsystem, mit dem sie versuchen, deiner Abteilung den Rang abzulaufen, sie sind fähig, Elementarteilchen wahrzunehmen, und wissen, was zehn hoch minus dreiundvierzig Sekunden nach unserer Lichtexplosion passiert ist. Jenseits dieser Grenze allerdings sind ihre Theorien bislang
    gescheitert, da laufen all ihre Berechnungen gegen unendlich, und es bleibt zu hoffen, daß ihnen der tiefere Sinn dieses Phä-
    nomens nie aufgeht; aber ich verlasse mich inzwischen auf gar nichts mehr.
    Dazu muß ich nachher noch etwas sagen.
    Wenn sie wollen, können sie sogar die Erde vernichten. Nimm es mir nicht übel, aber diese Fähigkeit war nun wirklich unser Privileg. Inzwischen sind sie dabei, die Erde zu vernichten, ohne es zu wollen, und sicherheitshalber laufen sie schon mal auf dem Mond herum und betrachten ihn als Sprungbrett für den Rest des Weltalls. Und es dauert nicht mehr lange, dann haben sie sich auch unser exklusivstes Privileg unter den Nagel gerissen: die Erschaffung von Leben, als Gegenstück zur massenhaften Ausrottung, sozusagen. Erst ein Virus, dann eine Mikrobe, dann ein Wurm , Caenorhabditis elegans vermutlich, und eines Tages werden sie Menschen nach ihrem Angesicht fabrizieren – das oft schon jetzt so leer ist wie das von Puppen: Anstelle eines Gesichtsausdrucks haben sie Dinge, Autos zum Beispiel, und wenn das so weitergeht, werden sie bald selbst wie Dinge sein. Alle zwölf Jahre verdoppelt sich das menschliche Wissen, jetzt, in ihrem Jahr 1985, wissen und können sie schon wieder doppelt soviel wie 1973, und durch die Annäherung an die Allmacht wird da unten buchstäblich alles möglich. Knowledge itself is power – wer, glaubst du, hat sich diesen Aphorismus erdacht? Natürlich wieder dieser verfluchte Francis Bacon. Wissen ist Macht, ja, aber nicht nur über die Natur, auch

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