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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Reichstagsbrandes feierten sie nicht mehr, weil das inzwischen auch der Tag von Adas Unfall und der Todestag ihres Vaters war. Manchmal begleitete ihn Helga zu offiziellen Empfängen oder Diners, obwohl sie dazu selten Lust hatte und er sie fast immer beknien mußte; aber genau das gefiel ihm an ihr: daß es ihr nicht um den zweifelhaften Glanz seines Amtes ging, sondern um ihn.
    Auch Sophias Mutter kam nach Groot Rechteren. Onno begrüßte Quinten, indem er ihm die Hand auf den Kopf legte, die Augen zum Himmel verdrehte und sagte: »Ein weiser Sohn erfreut den Vater.« Weil er fast nie an Quinten dachte, wenn es dazu keinen besonderen Grund gab, wußte er nicht recht, welchen Ton er ihm gegenüber anschlagen sollte. Während des Mittagessens in der Küche – Spiegeleier mit Speck, Milch, Obst, alles vom Bauern – saß Max Sophia gegenüber wie der Paterfamilias am Kopfende des Tisches, rechts von ihm die alte Frau Haken und Onno, links Helga mit Quinten.
    Auch der Fahrer war eingeladen worden, aber er hatte es vorgezogen, auf dem Vorplatz zu bleiben und dort seine mitgebrachten Butterbrote zu essen.
    »Ein Christdemokrat, der seinen Platz kennt«, sagte Onno.
    »Die wahren Unterdrückungsmechanismen sind nicht außerhalb des Menschen, sondern in ihm, und das ist auch gut so.
    In letzter Zeit sind ohnehin zuviel davon verschwunden, das wird sich noch mal rächen.«
    »So, so«, sagte Max, »das ist starker Tobak für einen fortschrittlichen Politiker.«
    »Machtausübung ist ohne Macht nach innen nicht möglich, und die kann nicht durch Polizisten ersetzt werden, abgesehen davon brauchte man zwei Polizisten pro Person: einen für den Tag und einen für die Nacht. Aber wer überwacht dann die Polizei?«
    »Was hältst du von Gott?« fragte Max mit einem Lachen.
    Und an Helga gewandt: »Ist dein Freund wirklich schon so reaktionär geworden?«
    Ehe sie antworten konnte, sagte Onno:
    »Es ist alles noch viel hoffnungsloser, als ihr glaubt. Aber laßt uns bitte nicht darüber sprechen, denn sonst gehe ich lieber.«
    Max hörte plötzlich einen Ton in seiner Stimme, den er nicht von ihm kannte.
    »Gehst du schon wieder?« fragte Frau Haken. »Du bist doch gerade erst gekommen.«
    »Nein, Oma. Ich bleibe noch ein bißchen.«
    Helga erkundigte sich nach Max’ Arbeit. Er wußte, daß sie das aus Höflichkeit tat, denn er hatte noch immer dasselbe spröde Verhältnis zu ihr, und natürlich würde sie ihm nie die Rolle verzeihen, die er in ihrem Leben spielte – zuerst, als er, ohne es zu ahnen, ihr Verhältnis mit Onno zerstört hatte, und dann, als er es, auch wieder ohne es zu ahnen, wiederhergestellt hatte. Als er zum ersten Mal hörte, daß sie dank der Mondlandung wieder zueinandergefunden hatten, hatte er kurz das Gefühl, daß sich letztendlich nichts geändert hatte; er brauchte jedoch nur zu Quinten und Sophia zu schauen, um zu sehen, daß es nicht so war.
    Westerbork, sagte er, funktioniere besser als erwartet; weltweit beneideten ihn seine Kollegen um die Bedingungen, unter denen er forschen könne. Auf eine Frage von Onno erzählte er, daß nach diversen gewaltsamen Räumungen und Kämpfen mit der Polizei jetzt auch die letzte ambonesische Familie verschwunden sei; nahezu nichts erinnere noch an die Wohnanlage Schattenberg, und folglich auch nicht an das Durchgangslager Westerbork. Um eine Rückkehr zu verhindern – der Molukker, wohlgemerkt –, seien alle Baracken abgerissen worden; auch die Schranke sei nicht mehr da. Gegen seinen Willen übrigens, aber die Überlebenden hätten es so gewollt, er habe nichts dagegen machen können. Sogar die Schienen seien entfernt worden; nur ein einziger morscher Prellbock stünde noch da. Aber er habe sich für die letzte Feier zu Ehren der Opfer am Abend des vierten Mai etwas ausgedacht, einige hundert Besucher kämen schließlich immer. Er habe ein kleines Computerprogramm erstellen lassen, das alle zwölf Spiegel so dirigierte, daß sie sich demütig zur Erde neigten, was auf die Tausendstel Sekunde genau um acht Uhr der Fall sein würde; während der zwei Schweigeminuten blieben sie in dieser Position, um sich dann wieder zum Himmel aufzurichten.
    »Man tut, was man kann«, sagte er und schlug kurz die Augen nieder. »Nur die Villa des ehemaligen deutschen Lagerkommandanten steht noch. Eigenartig, nicht wahr? Die Witwe des Militärkommandeurs aus der Zeit kurz nach dem Krieg wohnt dort. Wollt ihr eine schöne Geschichte hören?
    Vor einigen Wochen fiel plötzlich

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