Die Entdeckung des Himmels
neuerdings Kulturreferent in Amsterdam war. Sogar eine Katze wußte mehr, dachte Onno; vielleicht hatte Ada noch das Bewußtsein einer Maus. Aber für eine Maus durfte man Giftstreuen oder eine Falle stellen … Er erschrak von dem Gedanken und warf kurz einen schuldigen Blick auf Sophia, die Adas Hand genommen hatte und mit einem unergründlichen Ausdruck in ihren dunklen Augen ihre Tochter betrachtete.
Als sie wieder auf Groot Rechteren waren, tranken sie im Balkonzimmer Tee, aber ein richtiges Gespräch wollte nicht mehr aufk ommen. In der Küche las der Fahrer die Zeitung, Frau Haken machte auf dem Bett ihrer Tochter ein Schläfchen, und Sophia zeigte Helga Bilder. Während Onno an Max’ Schreibtisch einige Telefonate führte, sah Max mit verschränkten Armen auf einen Punkt im Bücherschrank und dachte an die Pläne, noch einen mobilen dreizehnten und vierzehnten Spiegel in Westerbork zu installieren, was das Auflösungsvermögen des Instrumentes um den Faktor Zwei steigern würde, Den Haag jedoch hatte befunden, daß die Radiosternwarte mittlerweile genug gekostet hatte. Die Fenster standen offen, und von den Remisen wehte eine Musik herüber, die nach den Rolling Stones klang, und ab und zu, wenn ein Auto über die lockeren Bohlen der Brücke über den äußeren Schloßgraben fuhr, war ein dumpfes Grollen zu hören. Onno wandte sich Max zu und stellte fest, daß Politik fast nur aus Telefonieren bestehe, und er frage sich, wie Julius Caesar das wohl gemacht habe. Er setzte sich in den grünen Sessel, wo er in Gedanken versunken eine astrophysikalische Zeitung von dem kleinen Tisch nahm.
In der Ferne das leise Dröhnen eines Zuges, der über den unbeschrankten Bahnübergang fuhr. Da sah Max, daß Quinten sich zu Onnos Füßen auf den Bauch legte, halb über die immer ungeputzten Schuhe mit den verknoteten Schnürsenkeln. Das war außergewöhnlich, bei ihm, Max, hatte es diese Intimität nie gegeben; Quinten mochte ihn nicht sehr. Der Anblick beruhigte ihn. Seine Angst vor der Vaterschaft hatte sich im Laufe der Jahre ebenso gelegt wie die Angst vor der kahlen Stelle auf dem Hinterkopf, war aber, anders als diese, nie ganz von ihm gewichen, und es erging ihm wie jemandem, der vom Krebs oder einem Gehirnschlag geheilt worden war, sich aber dennoch nicht hundertprozentig sicher fühlte und nie vergessen würde, daß es ihn einmal erwischt hatte, auch wenn er manchmal monatelang nicht daran dachte: Für den Rest seines Lebens lauerte irgendwo in einer düsteren Höhle ein Ungeheuer. Er wußte, solange Ada lebte, könnte er durch eine Blutuntersuchung die Vaterschaft feststellen lassen: Wenn Quinten bestimmte Erbanlagen hätte, die sowohl Ada als auch ihm fehlten, war Onno der Vater, wenn sie bei Onno fehlten, dann war er es. Sein eigenes Blut konnte er jederzeit analysieren lassen, und bei Ada und Quinten wäre nach Rücksprache sicher auch eine Blutprobe zu bekommen, aber wie kam er an Onnos Blut? Es war schließlich nicht zu hundert Prozent ausgeschlossen, daß sein eigenes Blut die gleiche Zusammensetzung hatte wie das von Onno.
Quinten versuchte vergeblich, den Deckel einer kleinen Blechdose zu öffnen, in der etwas klapperte. Onno, der gar nicht merkte, was zu seinen Füßen passierte, blätterte mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen in der Fachzeitschrift, als sei es eine Ausgabe der Theosophischen Vereinigung. Erst als er Quintens Wärme an seinen Füßen spürte, legte er sie weg und beugte sich vor.
»Kriegst du’s nicht auf? Laß es nur drin. Es ist viel schöner, wenn du nicht weißt, was drin ist. Was würdest du davon halten, wenn wir beide jetzt spazierengingen?«
»Bist du dir ganz sicher?« fragte Max. »Du mußt immerhin hinaus in die Natur.«
»Dann werde ich der Natur eben einen gehörigen Schrecken einjagen.«
»Paß gut auf deinen Vater auf, Quinten«, sagte Helga, als sie Hand in Hand zur Tür gingen.
Auf dem Vorplatz zögerte Onno, welche Richtung sie einschlagen sollten. Erst jetzt sah er die blühenden Rhododendren vor den Remisen: riesige, violette Explosionen, die schwer über dem Wasser hingen und unter denen die Enten hervorpaddelten wie Gläubige, die aus einer Kathedrale kamen. Die Entscheidung wurde von Quinten getroffen. Seine warme Hand zog ihn über die Brücke auf den Weg am Schloßgraben; sie gingen im Schatten einer altehrwürdigen braunen Eiche und dann an der Schmalseite des Schlosses vorbei; die flachen, verwitterten Steine des Fundaments, das leicht
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