Die Entdeckung des Himmels
führte immer zu einer großen, gerahmten Radierung, die gegen einen großen Bücherschrank am Boden gelehnt stand.
Einmal kniete sich Themaat zu ihm hin und versuchte ihm beizubringen, daß das ein Obelisk sei.
»Komm, wir sagen mal zusammen: Obelisk. « Und als Quinten schwieg: »Du mußt ihn anschauen, als wäre es ein versteinerter Sonnenstrahl. Er steht in Rom, am Lateran, diesem Palast hier rechts, an der Stelle, wo im Mittelalter die Päpste regiert haben. Siehst du all die Zeichen, die in den Stein gehauen worden sind? Sie sind also eigentlich ins Licht gemeißelt. Und siehst du hier all die kleinen Vögel? Das sind ägyptische Hieroglyphen, ich glaube, dein Vater kann sie lesen, auf jeden Fall hat er das gekonnt, bevor er seine Zeit mit der Politik vertan hat. Du hast deine Gaben jedenfalls von keinem Fremden, Kuku. Kaiser Augustus wollte die Stele nach Rom holen, aber irgendein ungünstiges Vorzeichen hielt ihn davon ab. Kaiser Konstantin, der Mann, der das Christentum eingeführt hat, scherte sich dreihundert Jahre später nicht darum und ließ den Stein nach Rom bringen. Sieh mal, es gibt noch fast keine befestigten Straßen. Dieses Bild wurde im achtzehnten Jahrhundert gemacht; heute ist es dort sehr belebt, mit Hunderten von Motorrollern und hupenden Autos. In dem Gebäude dahinter befindet sich die ehemalige Hauskapelle der Päpste, Sancta Sanctorum, und die Scala Santa, die heilige Treppe von Pilatus’ Palast in Jerusalem, über die Jesus gegangen ist. Behauptet man zumindest. Auf den Stufen sind noch Blutflecken. Man darf sie nur auf Knien hinaufsteigen.«
»Was erzählst du dem Wurm da eigentlich alles?« fragte Elsbeth und sah von ihrer Zeitschrift auf. »Du bist wohl nicht ganz bei Trost.«
»Ein Mensch ist nie zu jung zum Lernen.«
Quinten ließ diese Belehrung freundlich über sich ergehen und stapfte weiter. Durch eine Tür neben der Treppe ging er in den Keller, dessen Gewölbe sich auf beiden Seiten eines Ganges erstreckten, der das Schloß der Länge nach durchmaß.
Dort unten herrschte plötzlich eine noch tiefere Stille als oben – vielleicht, weil sie durch das hallende Geräusch von Tropfen, die irgendwo weit weg und in langen Abständen in eine Pfütze fielen, noch zu wachsen schien. Der stickige Gang war fast ganz dunkel; durch die hohen kleinen Fenster, die nahezu schwarz waren vor Schmutz, drang kaum noch Licht herein.
In manchen Räumen waren Kohlen, die nicht mehr gebraucht wurden, in anderen Hunderte leerer Flaschen, ausgesondertes Mobiliar, Gartenwerkzeug, kaputte Kinderwagen, Fahrräder ohne Räder. Waschräume, Spülräume, Waschküchen, Vorratsschränke, alles voll mit dem Abfall von Jahrzehnten; die große Küche, in der jahrhundertelang Geschäftigkeit geherrscht hatte, bis das Personal spät am Abend über eine Hintertreppe erschöpft zum Dachboden hinaufstieg, lag geplündert in der tiefen Dämmerung, mit gesprungenen Spülen, abgezogenen Wasserleitungsrohren und abgeschlagenen Fliesen.
Der Speisenaufzug zum Eßsaal, dem Salon von Herrn Spier, war, als die Seile rissen, auf den Boden des Schachts gestürzt.
Quinten kroch hinein, legte die Arme um die Knie und starrte in die Dunkelheit.
38
Das Grab
Einige Wochen vor Quintens drittem Geburtstag, der auf Pfingsten fiel, kam für Onno ein stolzer Augenblick. Auf Helgas Drängen war er endlich wieder einmal nach Drenthe gefahren – mit dem Dienstwagen, auch wenn das nicht ganz korrekt war – und hatte sie von zu Hause abgeholt. Es kam nicht in Frage, daß sie zusammenziehen würden, und sie wollte das genausowenig wie er. Er hatte seine Besuche unter dem Einhorn wiederaufgenommen, jetzt allerdings ohne die Plastiktüte mit schmutziger Wäsche, und manchmal kam es ihm vor, als ob seine Episode mit Ada aus einem Roman stamme, den er irgendwann einmal gelesen und in dem auch Quinten eine Rolle gespielt hatte. Auch die Phase seiner engen Freundschaft mit Max gehörte in die sechziger Jahre und lag bereits in einem wehmütigen Licht der Erinnerung. Inzwischen hatte Onno einen Bauch bekommen und trug einen dunkelblauen Anzug, meist mit Schuppen auf dem Kragen, und oft hing ihm auch ein Zipfel seines Hemdes aus der Hose, so daß ein kleiner Teil seines weißen Bauches sichtbar wurde; er trug immer die falsche Krawatte und immer zu kurze Socken – Max nannte diese Katastrophen seine »sozialdemokratische Stillosigkeit«. Sie gingen inzwischen beide auf die Vierzig zu, und auch ihre gemeinsame Empfängnis am Tage des
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