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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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verpflichtet, etwas gegen diese Unsicherheit zu unternehmen. Er wurde zwar völlig von den Vorbereitungen zu einem aufregenden internationalen Forschungsprogramm auf der neuen 92er Wellenlänge am Quasar MC 3412 zur Erkundung des ganz jungen Alls in Anspruch genommen, war nun aber dennoch oft im Rathaus und vertat seine Zeit damit, Auskunft über die Nutzungsabsichten von Groot Rechteren zu bekommen. Doch der Dezernent und die Beamten, die über alles genau im Bilde waren und den Namen Westerbork gerne in Verbindung mit einer medizinischen Einrichtung sahen, erwiesen sich als noch unnahbarer als der Horizont des Universums, dem er jetzt so nahe gekommen war.
    Ein halbes Jahr später war das anthroposophische Irrenhaus plötzlich passé. Die Mieten sollten ab sofort auf ein anderes Konto überwiesen werden, der Kontoinhaber ließ sich nie dazu herab, seine neue Errungenschaft zu besichtigen. Er wohnte auf einem großen Landsitz in Overijssel, mitten in den Wäldern, wo Max ihn schließlich ausfindig machte. Er sah aus wie ein Schalterbeamter bei der Post, seine dürre Frau war leicht bucklig, und auf dem Rasen starrte ihn ein hohläugiger Gärtner mit einer Sense blutrünstig an. Alles wirkte unheimlich wie in einem Schauerroman, und es war weder herauszubekommen, womit der neue Hausbesitzer seinen Lebensunterhalt verdiente, noch was er mit dem Schloß vorhatte.
    Herr Rosinga, der im Winter auf Groot Rechteren die Ölkanister die Treppen hinaufschleppte, berichtete, man erzähle sich jetzt im Dorf, daß das Schloß zu einem luxuriösen Hotel-Restaurant umgebaut werden sollte, aber Piet Keller hatte gehört, daß eine Polizeischule einziehen werde.
    Doch aus alldem wurde ebenfalls nichts, und die Eigentümer wechselten wieder und wieder. Mal war von einem Auktionshaus die Rede, das sich im Schloß niederlassen wollte, dann wieder sollte es ein Rekreationscenter für überarbeitete Manager werden. Für den Unterhalt wurde nichts mehr getan. Herr Roskam hatte seine Werkstatt geräumt, und niemand wußte, ob er dem Baron vielleicht schon unter die Erde gefolgt war, in die Regionen der Mütze seines Vaters. In den Außenwänden wurden Risse sichtbar, es gab undichte Stellen, der Putz fiel von den Rohrdecken, und in den Zimmerecken lösten sich verschimmelte Tapeten von der Wand und legten rauhes, jahrhundertealtes Mauerwerk bloß. Herbstblätter verstopften die Dachrinnen, so daß das Regenwasser an den Wänden herunterfloß und die Keller unter Wasser setzte, im nächsten Sommer war eine Mückenplage die Folge. Es war, als hätte das Schloß Krebs, von Monat zu Monat verkam es mehr, aber für jeden der Bewohner stand unumstößlich fest: Man ließ sich nicht von den Kapitalisten vertreiben!
    Anderthalb Jahre nach Gevers Tod, 1983 – Max war inzwischen über fünfzig, Sophia über sechzig –, wurde die erste Bresche in die Gemeinschaft geschlagen: Keller ließ sich herauskaufen. Der derzeitige Besitzer war ein sanft aussehender Mann Mitte Vierzig und nach Meinung der Domina Zeuge Jehovas, dessen Frau einen Sexclub in Amersfoort betrieb. Er selbst gab sich als »Antiquar« aus, was hieß, daß er monatlich mit einem »Kompagnon« in einem leeren Lieferwagen nach Spanien fuhr und mit einer Ladung Bauernstühle, -tische und -schränke zurückkam, die er in der verfallenden Orangerie lagerte. Kellers Wohnung war für den Kompagnon bestimmt, der eher den Eindruck eines Lakaien machte und für seinen Meister durchs Feuer ging. Seinen Aussagen zufolge konnte jeder in aller Ruhe seine gesetzliche Kündigungsfrist von drei Jahren in Anspruch nehmen, danach erst werde das Schloß gründlich renoviert, an das Gasnetz angeschlossen und mit einer Zentralheizung ausgestattet. Die jetzigen Bewohner bekämen selbstverständlich eine Option eingeräumt, wobei allerdings zu berücksichtigen sei, daß die Mieten dann ein Vielfaches der jetzigen betragen würden. Nach Meinung von Herrn Spier lief diese Renovierung auf den Umbau zu einem gigantischen Bordell unter der Schirmherrschaft des Allmächtigen hinaus.
    Aber plötzlich stellte sich heraus, daß ebendieser das Schloß wieder veräußert und nur die Gebäude auf der anderen Seite des Schloßgrabens behalten hatte. Als Max und Sophia den neuen Schloßherrn sahen, wußten sie sofort, daß jetzt ein anderer Wind wehen würde. Kein Zweifel, die hehren Gesetze des Marktes hatten endlich ein angemessenes Ziel gefunden, und da war er, der Sieger: ein kleiner, selbstzufriedener Mann mit Glatze

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