Die Entdeckung des Himmels
vertraulich zu werden, war nicht herauszubekommen, ob sie dank oder trotz der eisernen Abrißbirne in seinem Kopf an ihm hing. Sie hatten zwei Söhne in Quintens und Arend Proctors Alter. Quinten gab sich nicht mit ihnen ab, aber Arend schloß Freundschaft mit dem ältesten, Evert, vermutlich gegen den Willen von Korvinus. Es war offensichtlich, daß er das ganze Schloß für sich haben wollte, und Freundschaftsbande mit dem Feind erschwerten seinen Nervenkrieg.
Wenn Paco nicht vor Nederkoorns Peitsche und Befehlen über den Rasen kroch, lag er auf dem Vorplatz unter dem Fenster von Themaats Zimmer an der Kette, wo er ununterbrochen bellte. Unter Berufung auf ihren Mann, der krank sei und das nicht ertragen könne, hatte sich Elsbeth einige Male darüber beschwert, bekam von Nederkoorn aber jedesmal einen Blick zugeworfen, als sei sie ein Ding. Einmal hatte sie in ihrer Verzweiflung sogar die Polizei angerufen, aber die konnte nichts tun.
»Es kommt fast nie vor«, hatte Max nachher gesagt, »daß die Polizei etwas tun kann. Außer Juden einsammeln – das konnte sie sehr gut.«
An den Hund selbst war nicht heranzukommen: Näherte sich jemand bis auf weniger als drei Schritte, begann er zu knurren und fletschte mit zitternden Lefzen die Zähne. Nur bei Quinten hörte er sofort auf zu bellen, legte schwanzwedelnd die Ohren an und ließ sich streicheln. Als Nederkoorn das zum ersten Mal sah, packte ihn die kalte Wut: »Wenn du das Tier noch einmal anrührst, kriegst du es mit mir zu tun!«
Quinten hatte ihn daraufh in nicht mehr gestreichelt, aber nicht, weil er Angst vor Nederkoorn hatte, sondern weil Paco es dann würde ausbaden müssen. Statt dessen setzte er sich, wann immer er konnte, mit einem Buch unter Herrn Themaats Fenster, so daß der Hund wenigstens eine Zeitlang ruhig war. An den Weiher ging er sowieso nicht mehr, seit seine Hütte zerstört worden war. Und er hatte von Themaat so viel gelernt, daß er das gerne für ihn tat. So weit, wie die Kette es zuließ, kroch Paco dann zu ihm und legte sich hin, seine Schnauze möglichst nahe bei ihm, die goldbraunen Augen ließe ihn nicht los. Er schaut, dachte Quinten, genau wie ich, aber er weiß nicht, daß er schaut.
Einmal war Korvinus auf dem Treppenabsatz erschienen und hatte ihm befohlen, von dort zu verschwinden, der Vorplatz sei kein Hinterhof, wo das Gesindel auf der Erde sitze; aber dann hatte Sophia oben das Fenster geöffnet und ruhig gesagt:
»Es fällt langsam auf, daß Sie oft über Hinterhöfe reden, Herr Korvinus, wieso eigentlich?«
Das hatte geholfen, aber wie lange würde es so noch weitergehen?
Eines Abends lag Max auf der Couch und versuchte noch etwas zu arbeiten, aber er mußte ständig an die Zustände im Schloß denken. Irritiert stand er auf und ging in Sophias Zimmer. Sie saß im Morgenmantel auf dem Bettrand und gab sich eine Insulinspritze, die sie seit einem Jahr täglich brauchte.
»Entschuldige bitte, daß ich dich störe«, sagte er und sah die Nadel in ihrem Oberschenkel, »aber ich bin stinksauer.
Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, und was habe ich eigentlich mit alldem noch zu tun? Seit die Feudalherrschaft hier vorbei ist und das Bürgertum das Sagen hat, verwende ich täglich Stunden lediglich auf die Tatsache, daß wir hier wohnen.
Aber wohnen tut man doch, um etwas anderes tun zu können.
Wenn man geht, dann denkt man doch nicht ständig an die Tatsache, daß man geht – außer, man hat sich gerade das Bein gebrochen. Ich habe weiß Gott andere Sorgen, ich arbeite zur Zeit an dem interessantesten Projekt meiner gesamten Laufbahn. Erinnerst du dich noch, daß ich dir einmal erklärt habe, wie diese Spiegel in Westerbork eigentlich ein einziges riesiges Teleskop bilden? Heute sind wir mit den Computern in der Lage, alle Spiegel der Erde zusammenzuschalten, und damit haben wir demnächst ein Superteleskop mit einem Durchmesser von mehr als zehntausend Kilometern, so groß wie unser gesamter Planet. Und ich soll währenddessen versuchen, mich von dem Pack hier auf dem Schloß nicht unterkriegen zu lassen? Wovon reden wir überhaupt? Soll ich mich wirklich daran festbeißen? Wenn du mich fragst, ist das eine große Gefahr, mit der man sich alles verpfuschen kann. Zum Beispiel diese Molukker, die früher in Westerbork waren. Lager Schattenberg, weißt du noch? Die waren in der niederländisch-ostindischen Armee, Kollaborateure also eigentlich, die nach der Unabhängigkeitserklärung Indonesiens abhauen mußten.
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