Die Entdeckung des Himmels
und gestutztem Bart, Korvinus mit Namen und Besitzer eines Abrißunternehmens. Offenbar hatte er sich vorgenommen, die Frist von drei Jahren durch Schikanen drastisch zu verkürzen, denn er mischte sich sofort in alles ein.
Wenn Quinten entgegen der neuen Vorschrift sein Fahrrad doch wieder auf dem Vorplatz statt im Fahrradschuppen abgestellt hatte, erhielt Max am nächsten Tag ein Einschreiben, in dem er ausdrücklich gebeten wurde, dies nun endlich ein für allemal zu unterbinden. Kern bekam zu hören, daß der gemeinsame obere Flur nicht zu den von ihm gemieteten Räumen gehöre und folglich auch nicht zur Lagerung von Hausrat dienen könne. Clara wurde aufgefordert, ihre Wäsche nicht mehr auf dem Dachboden aufzuhängen, dies sei doch wohl nur in Hinterhöfen üblich. Die eiserne Abrißbirne, die die Arbeiter mit dem Bagger in die Hauswände krachen ließen, befand sich offenbar auch in Korvinus’ Kopf. Jede Woche war er mindestens einmal da, und nach Meinung der Schloßbewohner ausschließlich deshalb, um neue Schikanen zu erfinden – aber auch das reichte ihm nicht. Ein Wachmann mußte her. Die ehemaligen Lagerräume des Barons auf dem Speicher wurden zu einem Appartement ausgebaut, und eines Tages erschien der neue Mitbewohner: Nederkoorn.
Max erschrak, als er ihn zum ersten Mal sah, und danach von Mal zu Mal wieder. Ein riesiger Kerl in seinem Alter mit einem gewaltigen Dickschädel, immer in hohen, schwarzen Reitstiefeln, auf die er ungeduldig mit einer geflochtenen Peitsche schlug, und nie ohne die Begleitung eines Schäferhundes.
Am liebsten hätte Max sofort eine Maschinenpistole auf ihn leergeschossen, aber das war vielleicht eher die Art des neuen Mitbewohners. Er stellte sich niemandem vor, grüßte niemanden und brachte auf dem Rasen gegenüber von Piet Kellers früherem Haus Stunden mit der Dressur seines Hundes Paco zu. Er teilte sein Leben mit einer molligen Frau, die viel jünger und drei Köpfe kleiner war als er und zu Max’ Erstaunen offenbar tatsächlich verliebt in den Dickschädel war, jedenfalls legte sie jedesmal einen Arm um seine Schultern, wenn sie in ihrem Jeep wegfuhren.
Herr Spier ließ es, anders als Max, nicht bei Mordphantasien bewenden.
»Ich gehe«, kündigte er nach einigen Tagen mit starrer Miene an. »Ich kann nicht mit diesem Kerl unter einem Dach leben. Es tut mir leid, aber mir wird körperlich schlecht von diesem Subjekt. Er erinnert mich zu sehr an etwas.«
Jeder sah, daß ihm Ernst damit war, und keiner gönnte Korvinus den Triumph, aber alle respektierten Spiers Ängste.
Und jeder begriff, daß nun die letzte Phase angebrochen war.
Der Abschied von Piet Keller war für Quinten wie der von Verdonkschot und seinem Freund: ein erstauntes Feststellen der Tatsache, über die ihm auch sein Vater geschrieben hatte – daß nicht immer alles so blieb, wie es war. Kellers drei Kinder waren schon lange aus dem Haus, wie übrigens auch Kerns Tochter Martha, und Quinten half beim Einladen der Schlüssel und Schlösser und Werkzeuge aus der Werkstatt, mit denen er so oft gespielt hatte. Als er Keller fragte, ob die beiden Wagenräder am Kiesweg nicht auch mit sollten, zögerte der kurz und antwortete, er habe dafür in seinem Reihenhaus, in das er jetzt ziehe, keinen Platz. Und als der gemietete Kleinlaster rumpelnd über die losen Planken der äußeren Brücke verschwunden war, hatte er das Gefühl, als ob Keller, von dem er so viel gelernt hatte, nie dagewesen sei.
Die Abreise von Herrn Spier jedoch konnte er nicht mit ansehen. Er erinnerte sich, wie seine Oma ihn, als er ein kleiner Junge war, zugedeckt und das Licht ausgemacht hatte; dann hatte sie ihm einen Kuß gegeben und war zur Tür gegangen, und er hatte schnell die Decke über den Kopf gezogen und die Augen fest zusammengekniffen. Wenn er sie danach öffnete, mußte es so dunkel bleiben, als wären sie noch geschlossen, es durfte keinen Unterschied zwischen offen und geschlossen geben. Brannte jedoch noch das Licht, weil Sophia noch etwas in seinem Zimmer aufräumte, war die Nacht irgendwie verpfuscht.
Als bei Spiers alles in Kisten und graue Pferdedecken verstaut war und am frühen Nachmittag der Umzugswagen auf den Vorplatz einbog, verabschiedete er sich auf der Eingangstreppe. Frau Spier hatte Tränen in den Augen und brachte kein Wort heraus, sie umarmte ihn nur, drückte ihn an sich und küßte ihn fünf- oder sechsmal. Herr Spier gab ihm einen festen Händedruck und sagte:
»Es tut uns leid, daß wir
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