Die Entdeckung des Himmels
Mutter verbunden warst.«
Etwas erschrocken sah Quinten auf die Münze, die sich durch Themaats Worte plötzlich in ein glänzendes Mysterium verwandelt hatte.
Dieser enge Zusammenhang zwischen dem ›Homo circularis‹ und dem ›Homo quadratus‹, erzählte Themaat, sei schon vor Christus von Vitruvius in seiner Abhandlung über die Architektur beschrieben worden, und im fünfzehnten Jahrhundert habe Leonardo da Vinci seine berühmte Zeichnung dazu gemacht. Er zog ein Buch aus dem Regal und zeigte sie Quinten: ein stolzer, nackter Mann in einem Quadrat und einem Kreis, mit wallenden Locken bis auf die Schultern und jeweils vier Armen und Beinen, umgeben von einer Erläuterung in Spiegelschrift.
»Es ist wohl ein Selbstporträt«, sagte er. »Verflixt, und er sitzt auch genau wie eine Spinne in ihrem Netz – und hat acht Gliedmaßen! Was hat das zu bedeuten?« Er sah Quinten, der dies ebenfalls sofort bemerkt hatte, von der Seite an. »Fürchtest du nicht, langsam in Bereiche vorzudringen, in die dir keiner mehr folgen kann?«
»Wie meinen Sie das?«
»Das weiß ich nicht.«
Quinten sah sich die Figuren auf dem Teppich noch einmal an und sagte: »Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Grundriß des Pantheons.«
Themaat und Elsbeth wechselten einen Blick, dann erklärte er mit feierlichem Ton in der Stimme:
»Die Erkenntnis, daß der gottgleiche Körper von zwei vollkommenen, elementaren mathematischen Figuren bestimmt wird, stellte den Menschen in den Mittelpunkt der kosmischen Harmonie. Du siehst sofort, daß das eine bahnbrechende Entdeckung für die humanistischen Architekten war, wie zum Beispiel für deinen großen Freund Palladio.«
Quinten wandte den Blick nicht von dem weißen Quadrat und dem weißen Kreis mit dem Gulden im Mittelpunkt. War diese Konfiguration vielleicht auch die Essenz seiner Burg?
War das das letzte Wort? Ihm fiel ein, was Max einmal gesagt hatte: In dem unbegrenzten All war der Umfang nirgends und das Zentrum überall, und im nächsten Moment dachte er auch wieder an die heisere Stimme in seinem Traum, die einem das Blut in den Adern erstarren ließ und die an der verriegelten Tür verkündet hatte, dahinter liege »die Mitte der Welt«. Er sah den Gulden und plötzlich seine Mutter in ihrem weißen Bett – aber das Bett war rechteckig. War das Rechteck vielleicht noch ein Schritt weiter als das Quadrat? Dann würde der Kreis zwangsläufig zu einer Ellipse mit zwei Brennpunkten: die Bahn der Erde um die Sonne!
In diesem Augenblick spürte er am Hinterkopf eine Hand in seinem Haar, etwas rechts von der Mitte. Es war Frau Themaat.
»Quinten! Weißt du, daß du eine weiße Locke bekommst?
Nur hier, an dieser Stelle!«
46
Die freie Marktwirtschaft
Schon wenige Monate nach dem Tod des Barons war allen klar, daß Schlösser noch immer so heftig umkämpft wurden wie einst im Mittelalter. Es war ein Kampf, der sich in stockfinsterer Nacht zwischen nahezu unsichtbaren Parteien abspielte, zu denen die Bewohner nicht gehörten, der aber vermutlich mit deren Vertreibung durch den Sieger endete.
Doch je länger der Krieg dauerte, desto gelassener wurden sie.
Der erste Käufer war ein reicher Geflügelzüchter aus Barneveld, Herr über Leben und Tod von Millionen von Hühnern.
Er erschien nur ein einziges Mal auf Groot Rechteren, um seinen neuen Besitz, den er unbesehen erworben hatte, in Augenschein zu nehmen, und er sah genauso aus, wie man sich einen reichen Geflügelzüchter vorstellt: ein großer, gewichtiger Mann mit lautem Organ, dicker Zigarre und penetrant guter Laune. Danach überließ er das Gut seinem Verwalter, einem Junker, der sein Aussehen seinem Titel angepaßt hatte, aber, so Max, mit den Knickebockern, grünen Strümpfen und hochglänzenden Brogues auf geradezu klassische Weise aristokratisch wirkte. Der neue Besitzer hatte sich über seine Pläne mit Groot Rechteren nicht geäußert, da er jedoch eine traumhafte Villa in Lunteren besaß, würde er jedenfalls nicht ins Schloß ziehen. Im Dorf kursierten Gerüchte, daß das Schloß das Hauptgebäude eines anthroposophischen Zentrums für Schwachsinnige werden sollte. Im Park, der angeblich an einen Pensionsfonds verkauft worden war, sollten drei Pavillons für je sechzig Schützlinge entstehen. Das, hieß es, sei die Bedingung der Baronin beim Verkauf gewesen, obwohl die Domina behauptete, sie wisse davon nichts.
Da Max es gewesen war, der den anderen den Mieterverein ausgeredet hatte, fühlte er sich
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