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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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entwerfen, der im Hinblick auf mögliche Restaurierungssubventionen klugerweise auch Sitz und Stimme für einen nicht unmittelbar Beteiligten wie zum Beispiel die Stiftung Schlösser von Drenthe oder das Forstamt vorsah. Als die Finanzierung zur Sprache kam, der Kredit, das Eigenkapital, die Grundsteuer, die Immobiliensteuer, die Aufteilung der Kosten, gab es die ersten Probleme. Wer am schönsten wohnte, sollte am meisten bezahlen, davor schreckte aber Kern, der auf jeden Fall schöner wohnte als Proctor und zudem die Remise nutzte, zurück. Alle hätten nämlich ein festes Einkommen oder eine Pension, nur er nicht, und das als Künstler. Er sei weit über sechzig, und wenn er morgen krank würde, wäre von nirgendwoher auch nur ein Pfennig zu erwarten, Selma müßte bei der Baronin die Böden schrubben gehen, und wie lange er noch zum Bildhauern in der Lage sei und damit auch seinen Verpflichtungen nachkommen könne, das sei für ihn sehr fraglich. Schon sein Anteil an der Rechnung des Notars reiße ihm ein gehöriges Loch in den Beutel. Wer aber nicht Mitglied der Kooperation werde, so hatte derselbe Notar festgelegt, stimme damit einem »Verlust des Wohngenusses« zu.
    Auch Max begann zu zweifeln. Er hatte sich von der ersten Begeisterung mitreißen lassen, aber als die Sache stagnierte, fragte er sich, was er selbst eigentlich wollte. In höchstens fünf Jahren würde Quinten aus dem Haus gehen – sollte er dann hier mit Sophia wohnen bleiben? Die Aufgabe, die er auf sich genommen hatte, war dann vollbracht, und dann band ihn – außer einer Erinnerung – nichts mehr an sie.
    Eines Abends, als er leicht angetrunken war, brachte er plötzlich den Mut auf, die Sache zur Sprache zu bringen: »Hör mal, Sophia, noch mal zum Schloß: Wenn Quinten in einigen Jahren –«
    »Natürlich«, unterbrach sie ihn sofort, »dann trennen sich unsere Wege.«
    Mit der Begründung, daß sie ausgerechnet Kern, der von ihnen am längsten auf Groot Rechteren wohnte, ja wohl nicht fallenlassen konnten, konnte er die anderen schließlich überreden, die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen und zu hoffen, daß der neue Eigentümer alles beim alten ließ.
    Quinten bekam von alldem nicht viel mit. Auch Gevers finanzielle Zuwendung nahm er lediglich zur Kenntnis: Daß er Deep Thought Sunstars Grab gepflegt und Rutger beigebracht hatte, wie er den Vorhang weben mußte, war doch nur selbstverständlich!
    Da er wußte, daß er in diesem Schuljahr, es war die neunte Klasse, ohnehin sitzenbleiben würde, tat er noch weniger für die Schule als sonst. In der vollkommenen Stille des Abends starrte er, leicht geblendet vom Licht auf seinen aufgeschlagenen Heften und Büchern, durch das hohe, dunkle Fenster hinaus, wo er gerade noch den Übergang des Himmels zum noch dunkleren Wald unterscheiden konnte. Dort irgendwo in der Nacht war sein Vater, weit weg, vielleicht in Amerika, oder sogar in Australien, am anderen Ende der Welt. Aber auf jeden Fall nicht so unendlich weit weg wie seine Mutter. Vielleicht war er ja ganz in der Nähe, vielleicht hatte er nur so getan, als würde er die Niederlande verlassen, damit ihn hier niemand suchte, vielleicht war er einfach irgendwo bei einem Bauern in der Umgebung. Aber wenn man nicht wußte, wo jemand war, machte das eigentlich keinen Unterschied. Was tat er wohl in diesem Augenblick? Er wollte noch etwas »zu Ende denken«, hatte er Max geschrieben. Was war das? Was meinte er damit?
    Aus dem Bronzekästchen, in dem Quinten auch die geheimen Grundrisse des SOMNIUM QUINTI verwahrte, nahm er den Brief seines Vaters heraus. Er brauchte ihn nicht mehr zu lesen, denn er kannte ihn auswendig: Vorsichtig strich er mit den Fingerspitzen über die niedergeschriebenen Wörter, über das Papier, auf dem die Hand seines Vaters geruht hatte. Ihn wirklich nie mehr wiederzusehen war etwas, das ihm ebenso ausgeschlossen vorkam wie die Vorstellung, am nächsten Tag könnte die Sonne nicht mehr aufgehen.
    Er schloß das Kästchen mit dem antiken Vorhängeschloß ab, das er von Piet Keller geschenkt bekommen hatte; den kleinen Schlüssel verbarg er zwischen den lockeren Backsteinen hinter dem Ölofen. Nachdem er kurz seine Hand auf Adas Cellokasten gelegt hatte, ging er ans Fenster, um wieder die Spinnen zu beobachten.
    Sie sahen ekelerregend aus, und er konnte sie nicht leiden, dabei faszinierten sie ihn. Da das Licht in seinem Turmzimmer Nacht für Nacht Tausende von Insekten aus dem Wald anzog, hatten fünf oder sechs

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