Die Entdeckung des Himmels
ich dir dankbar. Aber was du jetzt tun willst, geht wirklich zu weit! Dich einsperren lassen im Sancta Sanctorum, um zu sehen, ob die Gesetzestafeln von Moses drin sind! Schon während ich es sage, traue ich meinen Ohren kaum. Stell dir vor, die Carabinieri stürmen plötzlich mit gezogenen Waffen herein: Jugendlicher Kunsträuber auf frischer Tat im Heiligtum ertappt! Ich sehe es vor mir in La Stampa stehen.«
»Kunsträuber?« wiederholte Quinten. »Du hast doch selbst gesagt, daß laut Grisar nichts mehr im Altar ist.«
»Beruf du dich der Polizei gegenüber mal auf die archäologische Literatur. Ist dir eigentlich klar, was Polizei ist? Es steht übrigens etwas auf dem Altar, das du der Einfachheit halber vergißt: der Acheiropoèton – Christus von Engelshänden gemalt und mehr als tausend Jahre lang von einem Papst nach dem anderen durch die Straßen Roms getragen –, du darfst von Glück sagen, wenn sie dich nicht gleich an Ort und Stelle totschlagen. Es gibt Dinge in der Welt, die man besser meiden sollte.«
Quinten sah ihn eine Weile an.
»Gut«, sagte er. »Dann mache ich es eben allein.« Er knipste das Licht an, setzte sich auf den Tischrand und schlug das Buch von Grisar auf.
Verzweifelt wurde Onno klar, daß Quinten um nichts in der Welt von diesem unglückseligen Plan abzubringen war.
Was war das nur für eine Kraft, die ihn trieb? Diese eiserne Unbeugsamkeit, mit der er alles anging, hatte Onno in gewisser Weise schon von Quintens Geburt an erstaunt. Was sollte er jetzt tun? Wenn er es ihn allein machen ließ, würde er ihn verlieren – obwohl sie sich dank derselben Leidenschaft ja gefunden hatten. Durfte man etwas abweisen, dem man sein Leben verdankte? Außerdem hatte er sich das alles selbst eingebrockt durch seine Bemerkung, das Christentum kenne kein architektonisches Allerheiligstes. Langsam dämmerte ihm, daß er dabei war zu verlieren. Stöhnend ließ er sich auf die Matratze sinken und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. Er war seinem Sohn unterlegen. Aber was hatte er, genau betrachtet, eigentlich zu verlieren? Es war völlig ausgeschlossen, daß Quinten auch nur eines dieser Schlösser knacken würde. Vielleicht würden sie erwischt und tatsächlich im Gefängnis landen – und wenn schon? Nachdem sie ihre Theorie dargelegt und sich das mitleidige Kopfschütteln angesehen hätten, würden sie wieder entlassen. Und die Sache würde mit Sicherheit in den Zeitungen stehen. Der Papst würde sich in Stillschweigen hüllen, alle Rabbiner dieser Welt würden ihre Augenbrauen hochziehen bei so viel Mesjoggaas, und der alte Massimo Pellegrini würde im Fernsehen erklären, er habe zwar immer schon gewußt, daß Qiuts ein unbegabter Hobbyarchäologe sei, nicht aber, daß er sich inzwischen zu einem Geistesgestörten entwickelt habe, der nicht einmal davor zurückschrecke, seinen minderjährigen Sohn in seine ebenso unsinnigen wie gefährlichen Hirngespinste hineinzuziehen. Schließlich würde die niederländische Botschaft auf den Plan treten und sein ehemaliger Kollege im Kulturministerium sie diskret ins nächste Flugzeug nach Amsterdam setzen. Und damit wäre die Sache gelaufen – aber er würde Quinten behalten. Er beschloß, das Spiel in Gottes Namen mitzuspielen.
»Und wenn sie nun nicht dort liegen, Quinten? Diese winzige Chance besteht doch auch noch.«
»Dann war es eben nichts. Dann mache ich den Laden wieder dicht, und wir hauen ab«, sagte Quinten ohne aufzublicken. »Aber sie liegen dort.«
»Und was machst du in diesem Fall?«
»Dann nehme ich sie natürlich mit, was dachtest du denn?
Niemand wird es je erfahren. Du hast selbst gesagt, daß der Altar in tausend Jahren nicht geöffnet wird, aber auch dann werden sie keinem fehlen, weil niemand davon gewußt hat.«
Perplex sah Onno ihn an.
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Du machst eine weltbewegende Entdeckung, die dich unsterblich machen würde, und du wahrst das Geheimnis?«
»Du sagst doch selbst, daß es sonst vielleicht einen Krieg gibt?«
»Das stimmt. Aber was hast du damit vor?«
Die Frage kam plötzlich. Daran hatte Quinten noch keinen Moment gedacht.
»Ich weiß nicht«, sagte er mit einem hilflosen Unterton in der Stimme. Nach einigen Sekunden zuckte er die Schultern und beugte sich wieder über das Buch. »Das werde ich dann schon sehen.«
Am folgenden Morgen – Quinten hatte Geburtstag – studierten sie nebeneinander am Tisch Grisars eingehenden Bericht, sahen sich die Bilder und
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