Die Entdeckung des Himmels
mehr wunderte. Sie warf einen Blick auf die Uhr und sah auf den Monitor. »Wien klappt nicht mehr. Das nächste ist dann Kairo oder Santo Domingo. Oder vielleicht kriegen Sie noch die englische Chartermaschine um acht Uhr nach Nikosia.«
»Zweimal Nikosia einfach«, sagte Onno schnell, bevor es doch noch Santo Domingo wurde.
»Nikosia?« wiederholte Quinten. »Wo liegt das denn?«
»Auf Zypern. Schöne Insel. Da gibt es viel zu sehen.«
»Ihre Pässe, bitte.« Während sie die Tickets ausfüllte, fragte sie: »Möchten Sie auch eine Gepäckversicherung?«
Mit einem Lachen sah Onno zu Quinten.
»Brauchen wir eine Gepäckversicherung, Quinten?«
»Mit Sicherheit nicht.«
»Wir verlassen uns auf unseren guten Stern, Angiolina.«
Sie nickte.
»Um zwölf Uhr zwanzig Ortszeit gibt es eine kurze Zwischenlandung in Tel Aviv.«
Onno sah wieder zu Quinten, der seinen Blick schweigend erwiderte, wandte sich zu Angiolina und sagte:
»Dann machen Sie bitte zweimal Tel Aviv daraus.«
62
Dorthin
»Wir bringen sie also zurück«, sagte Quinten, nachdem er seine Bordkarte bekommen hatte.
Onno antwortete nicht. Er ahnte, daß noch nicht alles vorbei war. Der Eincheckschalter befand sich am anderen Ende der Abfertigungshalle und war mit Sperrgittern versehen.
Carabinieri mit Maschinenpistolen und kugelsicheren Westen schlenderten jeweils zu zweit über den Marmor, Männer in Zivil lehnten hier und da an den Pfeilern. Draußen stand ein Panzerwagen der Polizei auf dem Gehsteig. Am Schalter herrschte großes Gedränge: hauptsächlich ältere Urlauber, die nach Zypern wollten und ihrer bunten Kleidung nach offenbar zusammengehörten; die Reisenden nach Tel Aviv waren durch ihren abwesenden Gesichtsausdruck zu erkennen.
Nachdem sie durch die Absperrung gegangen waren, wurde jeder an einer Reihe eiserner Tische einzeln befragt.
»Laß uns hier hinsetzen, bis wir dran sind«, sagte Onno.
»Ich bin allmählich todmüde, und ohne Stock kann ich mich kaum noch auf den Beinen halten.«
Besorgt sah Quinten ihn an. Erst jetzt wurde ihm klar, daß er nicht einen Moment Rücksicht auf den Gesundheitszustand seines Vaters genommen hatte.
»Vielleicht solltest du dich erst ein paar Tage ausruhen.«
»Gute Idee! Israel scheint mir das richtige Land dazu. Hast du dir denn schon mal überlegt, was wir sagen, wenn wir den Koffer öffnen müssen?«
»Nein.«
»Regelt sich alles von selbst, nicht wahr?«
»Ja.«
»Also, wenn sie dich fragen, was das für Steine sind, sagen wir: Die Gesetzestafeln von Moses.«
»Ja, warum nicht? Keiner wird uns glauben, und dann müssen wir nicht lügen.«
»Aber wenn sie sich ausgelacht haben, werden sie noch einmal fragen.« Seufzend sah Onno ihn an. »Es sieht so aus, als hätten wir die Wahl zwischen Gefängnis und Irrenanstalt.«
Die Vorstellung, daß die Steine womöglich tatsächlich das waren, wofür Quinten sie hielt, kam ihm inzwischen wieder vollkommen idiotisch vor.
»Hast du eine bessere Idee?« fragte Quinten.
»Ich habe immer eine bessere Idee. Weißt du, was wir sagen? Daß es Kunst ist. Kreationen eines modernen Künstlers.
Das wagt keiner zu bezweifeln, denn die bildende Kunst hat es verstanden, sich so unverletzlich zu machen wie – sagen wir mal –, wie Siegfried. Nicht einmal die Polizei kann dagegen etwas sagen.«
Quinten sah zu den patrouillierenden Polizisten.
»Sieh dir das an: an allen Tresen ist es ruhig, nur hier geht es zu wie im Krieg. Was ist das bloß mit den Juden?«
Onno nickte.
»Nach all den Jahrtausenden beginnt ihre Existenz immer deutlicher die Züge eines Gottesbeweises anzunehmen.«
Die Bemerkung erinnerte Quinten an Frau Korvinus. Am Tag nach Max’ Tod, erzählte er, habe er Nederkoorn im Flur zu ihr sagen hören, wenn es nach ihm ginge, könnten ruhig alle Juden auf diese Weise vom All aus gesteinigt werden, worauf sie geantwortet hatte, sie würden eben noch immer dafür bestraft, weil sie Christus gekreuzigt hätten.
»Nur gut, daß du aus dem Schloß heraus bist«, sagte Onno mit verzogener Miene. Da er sich nicht sicher war, wie diese antisemitische Bemerkung bei Quinten angekommen war, hielt er sofort dagegen. »Nicht die Juden haben Christus gekreuzigt, Quinten, sondern die Römer. Die Kreuzigung war eine römische Strafe für Schwerverbrecher. Der orthodoxe Herr dort mit dem Bart und dem schwarzen Hut auf dem Hinterkopf – wenn du jetzt zu mir sagst ›Bring ihn um‹, und ich bringe ihn um, bist etwa du dann sein Mörder, aber ich
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