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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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verschwände vom Bildschirm; auch nachdem die Maschine bis zur letzten Schraube auseinandergenommen worden wäre, würde nichts von dem Koffer wiedergefunden werden.
    Als er nach einer halben Minute auf der anderen Seite wieder auftauchte, kam das Mädchen nach vorne und bat Onno mit einem messerscharfen Lächeln, den Koffer zu öffnen. An ihrem Akzent hörte er sofort, daß sie keine Italienerin, sondern Israelin war. Quinten half mit den Schlössern, und zu seiner Verwunderung sah Onno obenauf einen Umschlag des Westerbork Synthese Radio Teleskop mit dem Spiegel als Logo liegen. Das Mädchen legte den Umschlag beiseite und faltete die Zeitungen auseinander.
    »Was ist denn um Himmels willen das?« Mit gespreizten Fingern zog sie ihre Hände zurück und sah angewidert auf die grauen Steine, hob einen hoch und fragte: »Was ist das für Zeug? Es ist leichter, als es aussieht. Lava?«
    »Vielleicht irgendeine Art Kunststoff «, sagte Onno mehr schlecht als recht auf althebräisch. »Moderne Kunst auf jeden Fall. Eine Kreation eines vielversprechenden Deutschen: Anselm Buchwald. Eine atmosphärische Evokation der Gralssage.«
    Sie sah hoch und sagte auf iwrith: »Mir kommt es eher wie eine atmosphärische Evokation des Dritten Reiches vor.«
    »Wer weiß, vielleicht läuft das ja auf dasselbe hinaus.«
    Sie sah ihn mit ihren grünen Augen forschend an.
    »Sie sprechen Hebräisch wie Jeremia.«
    »Sagen Sie lieber: wie Hiob«, sagte Onno mit gespielter Trauer.
    »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen: gelobt sei der Name des Herrn!«
    Nachdem sie abgefertigt waren, fragte er Quinten, was in dem Umschlag sei.
    »Geheim«, sagte Quinten unwirsch.
    Onno schüttelte den Kopf.
    »Du solltest wirklich keine weiteren Risiken eingehen. Als hätten wir nicht schon genug Probleme.«

    »So«, sagte Quinten mit einem Lachen, als sie abgehoben hatten, »jetzt sind wir weg.«
    »Hoffentlich warten sie in Tel Aviv nicht schon auf uns«, sagte Onno mit bedrückter Miene. »Es ist jetzt Viertel nach acht. Die Patres haben meinen Stock vermutlich schon entdeckt, und wenn nicht, wird es innerhalb der nächsten Stunde passieren, Padre Agostino wird vor Schreck zu Gorgonzola, und in zwei Stunden gibt Angiolina eine genaue Personenbeschreibung von diesem merkwürdigen Vater und seinem Sohn, die mit der nächstbesten Maschine abreisen wollten, und von der israelischen Beamtin erfahren sie, daß das Pärchen etwas sehr Merkwürdiges dabeihatte«, sagte er und zeigte hinauf zum Gepäckfach. »In drei Stunden, wenn wir landen, liegt am Flughafen bereits ein Abschiebeantrag, und mit derselben Maschine werden wir unter Bewachung über Zypern zurück nach Rom geschickt, wo wir bis zu unserem Tod in einem Keller der Engelsburg mit Ketten rasseln und von Ratten angefressen dahinvegetieren werden.«
    »Dann würden sie im Heiligen Land etwas ganz Besonderes verpassen«, sagte Quinten. »Außerdem vergißt du den Zeitunterschied.«
    Fragend sah Onno ihn an.
    »Wieso vergesse ich den Zeitunterschied?«
    »In Israel ist es doch eine Stunde später als in Italien?«
    »Na und?«
    »In dieser Stunde haben wir also nicht existiert. Aber wenn man eine Stunde lang nicht existiert hat, kann einen meiner Meinung nach niemand mehr finden.«
    Gelassen sah Onno zu, wie Quinten seine Mickymaus-Uhr um eine Stunde verstellte, verschränkte dann die Arme und sah an ihm vorbei aus dem Fenster. Die Maschine ließ die Erde kippen und kam nach einem weiten Bogen bei Ostia über das Meer, das im Streiflicht der Morgensonne wie alternde Haut aussah. In Gegenwart von Quintens Unverwundbarkeit fühlte er sich wie ein Vogel, der mit dem Schnabel einen Safe zu knacken versucht. Er mußte sich ihm ausliefern, so wie Quinten sich selbst – ja, was eigentlich? – ausgeliefert hatte.
    Wovon er selbst vermutlich nichts wußte.
    »Weißt du denn mittlerweile schon, was du in Israel vorhast?«
    »Das werden wir schon sehen.« Quinten wußte es wirklich nicht. Er wußte nur, daß alles von selbst in Ordnung kommen würde.
    »Aus einem meiner vorigen Leben kenne ich dort einen Kollegen«, versuchte es Onno noch ein letztes Mal ohne viel Hoffnung, »der uns ein ganzes Stück weiterhelfen könnte – vorausgesetzt, er lebt noch. Sie haben dort hervorragende Labors, in denen sie die Steine reinigen können; was das anbelangt, ist kein Land so gut ausgestattet wie Israel. Alle Israelis sind Archäologen, jede Tonscherbe, die sie finden, ist ein politisches Argument zur

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