Die Entdeckung des Himmels
Friseur auf die Illustrierte auf dem Schoß des Kunden.
»So, deinen Bart mußt du dir selbst stutzen«, sagte er und klopfte sich die Haare von den Kleidern.
Als Onno zum Waschbecken ging, um sich zu rasieren, beugte sich Quinten über die eine Ecke eines der Steine, wo ihm eine kleine, glänzende Stelle aufgefallen war. Er befeuchtete die Spitze seines Mittelfingers und rieb daran, worauf sich eine tiefb laue Glut zeigte. Er richtete sich auf. Die beiden Steine waren aus Saphir. Es waren Edelsteine. Da ein Gramm fünftausend Gulden kostete, lagen hier also Steine für rund hundert Millionen, vielleicht sogar eine Milliarde. Es schien ihm besser, seinem Vater nichts zu sagen. Er überlegte kurz und nahm dann aus seinem Reiserucksack den beigefarbenen Umschlag mit der Aufschrift SOMNIUM QUINTI, den er die ganzen Wochen über nicht geöffnet hatte, da er nicht mehr von der Burg träumte und es den Grundrissen nichts hinzuzufügen gab.
Er legte ihn zu den Steinen und schloß den Koffer.
Als sie gegen sechs in einem Taxi durch die Porta San Paolo und an der Pyramide von Cestius vorbei aus der Stadt fuhren, wurde es hell. Onno trug wieder seinen grauen Anzug, in dem er vor vier Jahren aus Holland gekommen war; mit Wohlbehagen genoß er die kühle Luft an seinen Wangen und im Nacken. Wie konnte sich ein Mensch nur so zuwachsen lassen! Er erinnerte sich an ein Gespräch, das er vor langer Zeit auf dem Kongreß in Havanna mit einem Mann geführt hatte, der zehn Jahre in einem stalinistischen Arbeitslager gesessen hatte. Es ging um die Bärte von Fidel Castro und seinen Freunden, und er, Onno, hatte gesagt, er werde sich nur dann einen Bart stehenlassen, wenn er ins Gefängnis käme. Woraufh in der andere ihn eine Weile schweigend angesehen und schließlich gesagt hatte: »Wenn du ins Gefängnis kommst, rasierst du dich viermal am Tag.«
Der Himmel begann sich rot zu färben, als ob hinter dem Horizont langsam die Klappe eines Ofens geöffnet würde. Es war Sonntag, es gab nur wenig Verkehr.
»Und wenn das nächstbeste Flugzeug nun nach Simbabwe geht?« fragte Onno.
»Dann fliegen wir eben nach Simbabwe. Geld genug haben wir.«
»Es geht nicht ums Geld, und übrigens lade ich dich ein.
Aber wir haben doch wohl Zeit genug, um uns etwas auszusuchen? Ich würde lieber nach San Francisco fliegen als nach Simbabwe.
Warum muß es mit aller Gewalt vom Zufall abhängen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Quinten ungeduldig. »Es ist eben so.«
»Und wenn wir dann in Simbabwe sind – was dann?« Quinten zuckte die Schultern und sah hinaus. In der Ferne die Kuppel des Petersdoms war schon fast verschwunden. Hier und da standen große, postmoderne Gebäude in der Landschaft, wie er sie im Katalog von Herrn Themaat gesehen hatte. Er wußte es tatsächlich nicht. Er wußte nur, daß er von jetzt an nicht mehr eingreifen durfte. Von jetzt an mußte alles durch die Umstände gelenkt werden.
Als sie am Flughafen Leonardo da Vinci aus dem Taxi stiegen, stand die Sonne über dem Land und übergoß die Maschinen auf den Stellflächen plötzlich mit blendendem Gold, das sich kurz darauf in Silber verwandelte. Es herrschte bereits reger Betrieb. In der lauten Abfertigungshalle sagte Onno, während er den Koffer auf Rädern hinter sich herzog: »Sieh mal: lauter Diebe, die sich mit ihrer Beute aus dem Staub machen.«
Quinten trug den Koffer mit den Steinen und seinen Rucksack. Vor der großen Tafel mit den Abflugzeiten blieben sie stehen und informierten sich über die Flugziele der nächsten Stunden: Buenos Aires, Frankfurt, Santo Domingo, London, Kairo, Wien, Nikosia, New York, Singapur, Sydney, Amsterdam »Und wenn es nun Amsterdam wird?« fragte Onno.
»Dann wird es eben Amsterdam.«
Hinter dem Tresen, an dem die Last-Minute-Tickets verkauft wurden, saß eine junge Frau, die ein Namensschild trug: Angiolina. Offenbar kam sie aus dem tiefsten Süden, ihr Haar war schwärzer als schwarz, auf der Oberlippe hing ein dunkler Schatten. Onno sagte, sie hätten in einer Laune beschlossen, für ein paar Tage zu verreisen, und nun wollten sie gerne buchen.
»Natürlich«, sagte sie und rückte ihren Seidenschal zurecht, den sie nach Quintens Meinung falsch herum trug. Sie nahm einen Kugelschreiber. »Wohin möchten Sie?«
»Das dürfen Sie sagen. Wir möchten mit der nächstmöglichen Maschine fliegen, in der noch Platz ist.«
»So würde ich auch gerne leben«, sagte sie mit einem Gesicht, dem abzulesen war, daß sie sich über nichts
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