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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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goldene und eine silberne Kuppel.
    Quinten beugte sich tief über seinen Koffer, um durch die Windschutzscheibe besser sehen zu können.
    »Schau mal«, sagte er leise. »Da ist es. Es existiert wirklich.«

    Obwohl der Araber auf seinem Kamel derselben Ordnung angehörte wie die schwere, sandgelbe Stadtmauer, an der er entlangritt, hupte der Fahrer ihn beiseite, fuhr durch das Jaffator und hielt auf einem kleinen Platz. Kurz darauf standen sie im Gewühl von Touristen, palästinensischen Händlern, römisch-katholischen Mönchen und Nonnen, griechisch-orthodoxen, armenischen und koptischen Priestern in exotischen Gewändern, frommen Juden in Kaftanen und Militärpatrouillen aus Jungen und Mädchen, die mit Uzzis und Kalaschnikows behängt waren. Läutende Kirchenglokken und das Geschrei der Kaufleute vermischten sich zu einem Lärm, der die beiden dumpfen Schläge, mit der in der Ferne ein Düsenjäger die Schallmauer durchbrach, mühelos in sich aufnahm.
    Das Hotel Raphael, das vermutlich in keinem Reiseführer erwähnt war, lag unansehnlich eingeklemmt zwischen einer Geldwechselstube und einem Gemischtwarenhändler, der seine Kisten und Säcke mit Kräutern auf der Straße ausgestellt hatte wie die Palette von Carpaccio: Zinnoberrot, Rostbraun, Terra di Siena, Kornblumenblau, Olivgrün, Safrangelb.
    Die Rezeption bestand aus einem einfachen Holztresen in einem schmalen Gang, der am Ende nach einigen Steinstufen in das überging, was offenbar die Hotelhalle beziehungsweise der Frühstücksraum war; ein Mann Mitte Sechzig hing in einem Stuhl mit gerissener Plastiklehne und sah fern. Auf dem Gerät stand eine V-förmige Zimmerantenne. Er legte die Zigarette in den Aschenbecher und erhob sich.
    »Quist?« fragte er mit einem melancholischen Lächeln.
    »Shalom.« Und dann auf englisch: »Mein Kollege hat Sie angekündigt.« Er reichte ihnen die Hand und stellte sich als Menachem Aron vor.
    Er hatte es sich nicht leichtgemacht. Auf dem Kopf trug er eine Perücke aus dickem und zu gleichmäßig kastanienbraunem Haar, unter dem sein eigenes rötlich-grau zum Vorschein kam; außerdem hatte er ein hellblaues Kippa auf dem Kopf, was in diesem Fall liturgisch vielleicht nicht unbedingt erforderlich war – es sei denn, überlegte Onno, er rechnete damit, daß Gott vielleicht nicht sah, daß er eine Perücke trug. Aron legte zwei Formulare auf den Tresen und fragte, wie viele Nächte sie blieben.
    Schweigend sah Onno Quinten an.
    »Zwei?« fragte Quinten. »Drei?«
    »Ich sage nichts. Es ist dein Unternehmen, das mußt du entscheiden.«
    »Also zwei.« Das sollte reichen.
    »Die Dusche ist auf dem Gang«, sagte Aron, während er ihnen die Zimmerschlüssel aushändigte.
    »Ich weiß nicht, was du jetzt vorhast«, sagte Onno, »aber ich gehe gleich ins Bett, ich kann nicht mehr.« Er zeigte auf den Koffer. »Was meinst du – sollen wir fragen, ob er einen Safe hat?«
    Aron verschwand durch eine Tür hinter dem Tresen und kam kurz darauf mit einer schmalen Eisenlade wieder, in der gerade eine Brieftasche Platz fand. Als sie ihm erklärt hatten, das es sich um Größeres handelte, bat er Quinten, ihm zu folgen. In einem unordentlichen kleinen Büro, das auch für die Lagerung von Leergut benutzt wurde, sah ein Mädchen von ihrer Schreibmaschine auf und nickte Quinten mit einem Blick zu, der ihn leicht verunsicherte. Ihr schwarzes Haar war so kurz geschnitten wie das seiner Mutter. In der Ecke stand ein mannshoher grüner Safe aus längst vergangenen Zeiten; das Firmenschild auf der Mitte der Tür war aus schwerem Kupfer: Kromer. Er hatte sofort gesehen, daß das Ungetüm ein altmodisches Buchstabenschloß besaß, das nirgends mehr verwendet wurde. Aron kniete sich auf den gefliesten Boden und drehte den Knopf viermal hin und her, so daß die Kombination für den Gast unsichtbar blieb. Als die kolossale Stahltür, die mindestens fünfundzwanzig Zentimeter dick war, langsam aufschwenkte, sah Quinten, daß darin leicht Platz für hundert Gebote war.
    »Schwer«, sagte der Hotelbesitzer, während er den Koffer ins untere Regal legte, fragte jedoch nicht weiter. Nachdem er die Tür mit einem dröhnenden Schlag geschlossen hatte, drehte er den Knopf zweimal mit der flachen Hand. »Recht so?«
    »Ja.«
    Das Mädchen drehte sich um und fragte etwas auf iwrith, vielleicht nur, um Quinten mit der weißen Locke im Zopf noch einmal sehen zu können. Aber Aron wachte gut über seine Tochter und bedeutete Quinten, wieder zum Tresen zu

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