Die Entdeckung des Himmels
Büro für Touristeninformation und Hotelreservierungen.
»Was ich jetzt wirklich dringend brauche«, sagte Onno, »ist ein zivilisiertes Bad. Ist dir eigentlich klar, daß wir seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr aus den Kleidern gekommen sind? Fühlst du dich nicht schmuddelig?«
»Es geht.«
»Sherut?« rief ein Mann mit einem Kippa auf dem Kopf, der am Gehsteig hastig Koffer in einen kleinen Bus lud. »Yerushalayim?«
Es seien noch zwei Plätze in seinem Pendelbus nach Jerusalem frei, und Onno hatte bald begriffen, daß sie nun einsteigen mußten. Auf der hintersten Bank setzten sie sich neben eine grauhaarige Dame, die l’Express las; alle anderen waren intellektuell aussehende Männer, Amerikaner in kurzärmeligen Hemden, manche mit Fliege. Nachdem der Fahrer den Motor angelassen hatte, drehte er sich um und fragte, in welche Hotels die geschätzten Herrschaften denn wollten. Die Dame fuhr zum King David, die Amerikaner mußten ins Hilton. Als Onno nicht gleich antwortete, fragte er ungeduldig: »Auch Hilton?«
Onno machte eine Geste, daß es in Gottes Namen das Hilton sein sollte, und kurz darauf fuhren sie in die dürren, mit Steinen übersäten Hügel.
Auf der dreiviertelstündigen Fahrt sprachen sie nicht. Auch Onno war noch nie in Israel gewesen, aber er hatte den Eindruck, der Landschaft die metaphysische Gewalt, die hier seit vier Jahrtausenden gewütet hatte und immer noch wütete, ansehen zu können. Zugleich wußte er, daß dieser romantische Gedanke aus dem entstanden war, was er von der Geschichte wußte – aus Bibellesungen seines Vaters und des Pfarrers und all den süßlichen Konfirmandenbildchen mit brechenden Wolken, die Fächer heiliger Strahlenkränze durchließen; auch für ihn war Israel immer ›das Gelobte Land‹ gewesen, es jedoch unter diesen Umständen zu sehen, war das Unglaublichste von allem: in Begleitung seines Sohnes, der einen Koffer auf dem Schoß hatte, in dem sich angeblich die Gesetzestafeln des Moses befanden. Es war, als ob das versengende Licht, das von keiner einzigen niederländischen Wolke getrübt wurde, die Zeit zusammenrollen ließ wie ein Insekt in einer Flamme. Allmählich wurden die Hügel höher und blühten hier und dort, und im Straßengraben der vierspurigen Straße lagen ab und zu Wracks zerschossener Laster und Panzerwagen, die von einer rostbraunen Mennige konserviert wurden.
Der Fahrer meldete, sie stammten aus den Kriegen von und 1967, aber für Onno hätten sie auch von den Kreuzfahrern, den Römern oder den Babyloniern herrühren können Der Turm des Jerusalem Hilton, dessen Balkongeländer allesamt mit der israelischen Fahne bespannt waren, stand im westlichen Teil der Stadt in einem neuen, gesichtslosen Stadtviertel – daß es hier irgendwann einmal anders ausgesehen hatte, bewiesen die Ausgrabungen nebenan. In der kühlen, weitläufigen Hotelhalle, die von kleinen Geschäften gesäumt wurde, meldeten sich die Amerikaner bei freundlichen Damen an einem Tisch mit Fähnchen und Unterlagen an; eine Tafel auf einem Esel hieß die Teilnehmer der internationalen Konferenz zur Bewässerung des Negev herzlich willkommen.
Am Tresen legte Onno die Pässe vor und bat um zwei Einzelzimmer. Vielleicht weil der Mann an der Rezeption sah, daß es niederländische Pässe waren, verwies er ihn auf englisch zum Tisch der Wasserbauexperten.
»Nein, wir gehören nicht dazu.«
»Warum nicht?« fragte Quinten.
»In Gottes Namen!« sagte Onno und hob die Arme. »Nicht schon wieder! Du bist wie Max!«
»Wieso?«
»Das erzähle ich dir später.«
Aber ansonsten sei nichts frei, alle Hotels seien ausgebucht; zur Zeit fänden in Jerusalem vier oder fünf Kongresse statt.
Nur in der Altstadt sei vielleicht noch etwas zu bekommen, aber dort lasse die Sicherheit zu wünschen übrig. Als Onno sagte, daß sie sich nicht so schnell fürchteten und irgendwo unterkommen mußten, telefonierte der Mann ein paarmal und notierte dann Name und Adresse eines Hotels.
Nachdem sie in der Bar etwas gegessen hatten – wobei Quinten ein Glas Milch zu seinem Schinkenbrötchen verweigert wurde –, brachte ein Taxi sie in den Ostteil der Stadt.
Am Ende einer breiten Einkaufsstraße, in der sich der Verkehr staute, ging es langsam bergab, und kurz darauf erschienen oben, auf der anderen Seite eines bewachsenen Tals, das eher wie eine Rinne aussah, die massiven Mauern des alten Jerusalem. Dahinter, in einer Sturzflut aus Sonnenlicht, unzählige Türme und in deren Mitte eine
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