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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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gehen.
    Dort war inzwischen etwas passiert. Mit offenem Mund stand Onno auf der Schwelle des Aufenthaltsraumes und sah in den Fernseher. Mit einer energischen Geste in Hüfthöhe bedeutete er Quinten, ruhig zu sein. Auf dem Bildschirm war eine aufgebrachte, betende und singende Menschenmenge auf einem Platz zu sehen, die meisten kniend, mit offenen Armen, die Gesichter ekstatisch zum Himmel erhoben, dazwischen Pizzabuden. Den hebräischen Kommentar konnte Quinten nicht verstehen. Als die Kamera schwenkte, sah er plötzlich, wo sich die Szene abspielte: am Sancta Sanctorum!
    Die überfüllte Heilige Treppe, die Kapelle, durch ein Gitter eine Nahaufnahme vom Stock seines Vaters auf dem päpstlichen Gebetsstuhl gegenüber dem Altar! Kurz darauf eine alte Frau, die aufgeregt gestikulierte und mit sich überschlagender Stimme losredete. Er verstand nur das Wort »Miracolo«.
    Dann sprach mit hebräischen Untertiteln ein bedächtig formulierender Pater – jedoch nicht der aus Butter –, und der israelische Nachrichtensprecher schloß das Thema mit einem ronischen Blick in die Kamera ab.
    Sprachlos ließ sich Onno in einen Stuhl fallen.
    »Erzähl!« sagte Quinten. »Was ist passiert?«
    »Ich werde verrückt. Heute morgen wurde mein Stock entdeckt – von der alten Frau. Wie an jedem Sonntag bestieg sie als erste die Heilige Treppe und verständigte die Passionisten.
    Als sie ihre erstaunten Mienen sah, begann sie zu schreien, ein Wunder sei geschehen. Innerhalb von einer Stunde hatte sich die Nachricht in der Stadt verbreitet, und von allen Seiten kamen die Menschen herbeigeströmt. Und was meinst du? Sie glauben, daß mein Stock der Stab des Moses ist, mit dem er Wasser aus dem Felsen geschlagen hat. Der Beweis ist der Griffin Form eines Schlangenkopfes: am Hofe des Pharao hat Moses seinen Stab einmal auf den Boden geworfen, und er verwandelte sich in eine Schlange. Außerdem behaupten sie, die Schlange aus dem Paradies bete jetzt den Acheiropoèton im päpstlichen Allerheiligsten an, und das deute auf das Ende der Erbsünde und auf die Wiederkunft Christi hin. Im Augenblick scheinen sämtliche Zufahrtswege nach Rom blockiert zu sein.«
    Es dauerte einen Moment, bis Quinten erwiderte:
    »Aber die Patres wissen doch, daß es dein Stock ist?«
    »Die belassen es offenbar dabei«, sagte Onno. »Sie haben nicht gut aufgepaßt, und es liegt nicht in ihrem Interesse, daß das bekannt wird. Außerdem finden sie die Aufwertung ihrer Kapelle natürlich grandios.«
    »Und wenn Mauro deinen Stock wiedererkennt?«
    »Der wagt nicht, etwas zu sagen. Vielleicht läßt er sich ein Schweigegeld geben. Jetzt kann keiner mehr zurück.«
    »Und warum hatte vorhin nicht der Prior das Wort? Es könnte doch noch viel mehr los sein!«
    »Vielleicht wird Padre Agostino demnächst heiliggesprochen. Schutzheiliger der milchverarbeitenden Industrie.«
    »Und wer war der Geistliche zum Schluß?«
    »Kardinal Sartolli, der Erzbischof von San Giovanni in Laterano. Er beschränkt sich wie immer auf diplomatische Äußerungen. Er sagte, die Kirche freue sich über die Frömmigkeit des Volkes, jetzt müsse aber erst einmal die offizielle Reaktion des Vatikan abgewartet werden.« Onno schaute zu ihm auf. »Quinten! Was haben wir bloß angerichtet!«
    Quinten erwiderte einen Moment lang seinen Blick – und fiel plötzlich wie vom Blitz getroffen zu Boden vor Lachen.

63
Die Mitte der Mitte
    »Ich habe dich noch nie so lachen sehen«, sagte Onno am nächsten Morgen beim Frühstück, nachdem er Quinten aus dem Ha’aretz die letzten Nachrichten über die Situation in Rom vorgelesen hatte: Aus aller Welt strömten inzwischen Pilger zum Sancta Sanctorum, die Piazza San Giovanni in Laterano sei für jeglichen Verkehr gesperrt, und der Heilige Stuhl und das Oberrabbinat in Jerusalem enthielten sich jedes Kommentars.
    »Das ist doch zum Verrücktwerden vor Lachen! All die betenden Menschen, wo ausgerechnet jetzt nichts Anbetungswürdiges mehr da ist! Nur dein komischer Spazierstock.«
    Onno faltete die Zeitung zusammen.
    »Gut. Wir haben die Zehn Gebote also gegen meinen Spazierstock eingetauscht, und du bringst sie zurück.« Über den Rand seiner Lesebrille sah er Quinten an. »Oder sind die beiden Steine vielleicht so etwas Ähnliches wie der Stab des Moses?«
    »Wie kommst du denn darauf?« sagte Quinten empört.
    Onno nickte und löffelte schweigend sein Ei aus.
    »Aber ich nehme an, daß der Safe des Hotels Raphael nicht ihr letzter Bestimmungsort

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