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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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muß dir etwas sagen, das du wissen mußt, das aber sonst niemand wissen darf.«
    »Ich kann Sie kaum noch verstehen.«
    »Ich muß leise reden, ich werde neuerdings möglicherweise von dem Pack hier im Schloß belauscht. Aber ich ziehe bald in Westerbork bei jemandem ein, bei einer früheren Freundin von Max. Du hast gehört, was alles passiert ist?«
    »Ja.«
    »Hör mir gut zu, Onno. Fragst du dich nicht, warum Ada so plötzlich gestorben ist?«
    »Sie meinen –«
    »Genau das meine ich. In deinem Abschiedsbrief hast du geschrieben, daß Ada Fleisch meines Fleisches sei und daß ich die Entscheidung über sie hätte. Es ging ihr zuletzt so schlecht, daß man es einfach nicht mehr mit ansehen konnte. Ihre Nieren funktionierten nicht mehr, sie hatte Gebärmutterkrebs mit Metastasen, ich werde dir die Einzelheiten ersparen. Ihr Haar war ganz weiß. Aber es war nicht die Art von Krankenhaus, in dem Entscheidungen getroffen wurden; ich mußte es selbst tun.«
    »Wie?«
    »Mit einer Überdosis Insulin. Das habe ich ihr letzten Samstag während der Besuchszeit gegeben, etwa gegen halb acht, unter dem Laken, in ihren linken Oberschenkel. Keiner hat etwas bemerkt. Erst gestern morgen wurde entdeckt, daß sie gestorben war. Der Tod muß nachts etwa um halb eins eingetreten sein, das sagten sie jedenfalls, als sie mich anriefen. Das heißt: soweit der Tod nicht schon vor Jahr und Tag eingetreten ist. Mittags sah ich sie im Leichenschauhaus. Ich mußte an ein Rehkitz denken, so klein war sie geworden.«
    »Und heute ist sie schon eingeäschert worden? Heute ist doch erst Montag. Ging das nicht sehr schnell?«
    »Das ist natürlich jedem aufgefallen. Ich habe deinen Anwalt Giltay angerufen, der sagte, daß es nach dem Bestattungsgesetz einen Mindestzeitraum von sechsunddreißig Stunden gebe. Daran haben sie sich im Krankenhaus genau gehalten.
    Ich glaube, daß sie Verdacht geschöpft haben, wie auch Giltay übrigens. Vielleicht haben sie bei der Leichenbeschau das kleine Loch in ihrem Oberschenkel entdeckt und wollten den Beweis, daß bei ihnen möglicherweise etwas Undurchsichtiges passiert ist, so bald wie möglich aus der Welt schaffen. Heute stand ein kleiner Bericht in der Zeitung, Frau Q. sei nach siebzehn Jahren eines natürlichen Todes gestorben.«
    »Warte mal – das ist – das ist doch nicht möglich – ich muß es aufschreiben. Am Samstagabend haben Sie ihr die Injektion verabreicht? Da war es halb acht. In dieser Nacht um halb eins ist sie gestorben. Morgens wurde sie ins Leichenschauhaus gebracht, und dort hat sie bis gestern gelegen. Heute morgen wurde sie in den Sarg gelegt und zum Krematorium gebracht. Dort ist sie vor einer Stunde eingeäschert worden.«
    »Ja. Was ist denn so wichtig an diesen Zeiten?«
    »Was – wie kann – ich –«
    »Onno? Hallo! Onno? Hörst du mich? Bist du noch dran?«
    »Irgend etwas in meinem Kopf geht schief, Sophia, ich spüre es – ich kann nicht mehr schreiben – meine ganz linke Seite – vor anderthalb Jahren habe ich –«
    »Lieber Himmel, Onno! Wo bist du?«
    »Hotel Raphael –«
    »Laß sofort einen Arzt rufen. Ich nehme das nächste Flugzeug. Ich komme euch holen.«

Epilog
    Das reicht jetzt! Man muß auch wissen, wann man aufh ören muß. Denk an das Wort von Goethe: »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.«
    Aber sicherheitshalber hat er auch gesagt: »Daß Du nicht enden kannst, das macht Dich groß.«
    Ja, so sind sie, die Schriftsteller. Immer auf zwei Hochzeiten tanzen. Du hast deinen Auftrag ausgeführt, und ich habe sechshundertsechsundsechzig Fragen zu deinen Machenschaften, aber die werde ich jetzt nicht mehr stellen. Die Hauptsache ist, daß wir gerade noch rechtzeitig das Testimonium zurückbekommen haben. Wo ist unser Mann jetzt?
    Ins Licht zurückgekehrt.
    Du kannst mittlerweile ruhig sagen: in die Dämmerung. Und was ist mit den Scherben der beiden Tafeln passiert?
    Sie sind von der städtischen Müllabfuhr von Jerusalem abgeholt und zusammen mit all dem anderen Schutt aus dem Kettendom zu einer Mülldeponie gefahren worden.
    Das Testimonium selbst ist übrigens auch ein Chaos. Es sieht aus wie ein umgestürzter Setzkasten.
    Wenn Sie schon in irdischen Bildern sprechen wollen, so wählen Sie besser modernere: wie gelöschte Software.
    Das ist der Sprachgebrauch einer Welt, die uns nun gerade nichts mehr angeht. Die Saphirtafeln des Gesetzes waren dann wohl die Hardware?
    Sozusagen.
    Ja, seit Bacon spricht der Teufel Englisch. Das wird

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