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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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sich selbst zum Trotz – oder bildete sie sich das nur ein? Rumorte es vielleicht in ihr? Sie sah zu Onno in seinem grünen Sessel hinüber: ein Kind in Gestalt eines Riesen.
    »Bist du noch mit dem Kopf dabei?« fragte Bruno.

16
Der Kongreß
    Obwohl Ada und Bruno drei Tage früher abgereist waren, würden sie doch nur einen Tag früher ankommen: in Prag mußten sie zwanzig Stunden auf Anschluß warten, und außerdem flogen die Kubaner noch mit alten russischen Turbo-Prop-Maschinen über Schottland und Neufundland. Max und Onno flogen über Madrid, mit nur einer Zwischenlandung auf den Azoren.
    Überall im Flugzeug sahen sie bekannte Gesichter, künstlerische und intellektuelle Berühmtheiten aus ganz Europa, Schriftsteller, Maler, Philosophen, die sie von Fotos her kannten; auch viele Nord- und Südamerikaner, die wegen der Blockade diesen Umweg machen mußten. Von der Stewardeß erfuhren sie, daß in Havanna ein Kultur-Kongreß stattfinde.
    Onno las die frankistische Parteizeitung, und Max betrachtete vom Fenster aus die geschlossene Wolkendecke. Kräftige Kumuluswolken wie weiße Berge, mit hellgrauen Seen in den Tälern, die auch Namen hätten haben können; so hätte auch die Erde aussehen können. Je südlicher sie kamen, desto dünner wurde die Bewölkung, bis plötzlich, in einer blauen Erstarrung, das Meer sichtbar wurde. Er schlummerte ein, und im Geräusch der Motoren hörte er wundervolle Symphonien aus Dreiklängen, die er nach Wunsch dirigieren konnte …
    Land in Sicht! Fasten your seatbelts. Unten hatte jemand unzählige Streichhölzer senkrecht in den Boden gepflanzt, die allesamt ihre langen, scharfen Schatten in dieselbe Richtung warfen: Palmen. Sie flogen einen Bogen über die Bucht und die weiße Stadt und landeten auf dem Flughafen José Marti.
    Überall am Rande des Flugplatzes standen Abwehrgeschütze; am Tower ein riesiges Porträt von Che Guevara, das apostolische Gesicht mit dem Barett, das hier, wo es hingehörte, plötzlich einen ganz anderen Charakter hatte. Darunter stand in meterhohen Buchstaben:

    HASTA LA VICTORIA SIEMPRE

    Als sich die Türen öffneten, strömte die Oktoberhitze wie eine Warmwasserwelle in die Maschine. Onno blieb einen Augenblick oben auf der Treppe stehen und sah sich um.
    »Genau!« rief er. »Eldorado! Wir sind wirklich nicht mehr bei den Käseköpfen!«
    Die Sonne stand tief und orangefarben am Horizont, aber noch immer strahlte sie mit einer Kraft, die sie im Norden nie hatte. Max legte kurz die Hand auf den Beton, der noch so heiß war wie eine Kochplatte: ein Spiegelei wäre innerhalb einer Minute gar.
    In der kühlen, klimatisierten Ankunftshalle begleitete ein kleines Orchester das Durcheinander mit Guarachas. Es war auch eine Maschine der Aeroflot aus Moskau eingetroffen, und überall fielen Ankömmlinge und Abholer einander in die Arme, ohne daß richtig klar wurde, wo sich der Zoll und die Ausweiskontrolle befanden. Überall waren auch Soldaten in grünen Uniformen und mit Gefechtsmützen zu sehen, manche wiegten sich im Rhythmus der Musik. Ober liefen mit großen Tabletts voller gefüllter Gläser umher, und als Max und Onno von einem etwas nahmen und bezahlen wollten, schüttelte er freundlich den Kopf.
    Ein schwarzes Mädchen in Soldatenuniform und mit dickem, entkraustem Haar kam auf sie zu und fragte, zu welcher Delegation sie gehörten. Onno sagte, zu gar keiner, sie seien zwei einfache Touristen aus Holland, die Zimmer suchten, am liebsten im Hotel Nacional. Sie bat sie um ihre Pässe, studierte die Visa, die auf losen, angehefteten Zetteln standen, da sie sonst nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen dürften, und ließ den Zeigefinger über eine Liste gleiten.
    »Ich habe Ihre Namen aber nicht auf der Liste.«
    »Das ist auch richtig so«, sagte Onno.
    »Nein, das ist nicht richtig so. Holland, sagten Sie? Nehmen Sie bitte kurz Platz.«
    Sie verschwand mit den Pässen, der Reißverschluß ihrer perfekt sitzenden Hose saß genau zwischen den üppigen Hinterbacken. Onno nutzte die Gelegenheit, um Ada anzurufen.
    Max sah sich um und seufzte tief. Es war genau das, was er sich gewünscht hatte: etwas völlig anderes, etwas, mit dem er nichts zu tun hatte. Für ihn war die Reise bereits jetzt ein Erfolg. Überall hingen Tafeln mit Willkommensgrüßen an die Teilnehmer der Primera Conferencia de La Habana und große Porträts von irgendwelchen Revolutionären der ersten Stunde, jedoch nicht von Fidel Castro; einen Spruch in roten Buchstaben

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