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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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konnte er sich im Nachhinein nicht erinnern, aber er fand sich mitten in seiner Erklärung wieder, Elektrizität bestehe »doch eher aus zwei Flüssigkeiten, denn aus einer«.
    Sein angesammeltes Wissen trudelte wie eine losgerissene Schiffsladung im Sturm durch sein Hirn. Zufällig lösten sich Einzelheiten. Sie rollten wütend aus ihm heraus. Hatte er gerade »zwei Flüssigkeiten« gesagt? Offenbar hatte er das gesagt und hoffentlich doch nicht. Tatum vertrat ja die Partei der einen Flüssigkeit. Aber schon ging es weiter, er sollte selbst einmal vortragen. Hatte er geträumt? Hatten seine Gedanken sich verhaspelt und waren hereinkommende und abgehende Informationen übereinandergestolpert, hatte er denken und sprechen und hören nicht mehr voneinander trennen können? Oder hatte der Silberschmied ihm wirklich mit sanfter Stimme in aller Einfachheit angeboten, »doch selbst einmal vorzutragen«?
    Er hatte.
    Faraday legte die Arme eng an den Körper, als er zusagte, stotternd und mit sich überschlagenden Bezeugungen seines Dankes, von denen er, den Faden immer spätestens nach vier, fünf Worten verlierend, keine zu Ende ausführte. Niemanden außer sich selbst nahm er noch wahr. Er fror, und das besserte sich erst im Regen des Heimwegs, als er sich marschierend wiederfand, in großem Tempo nach Hause eilend.
    Natürlich machte er sich, ohne zu warten oder an Schlaf zu denken, an die akribische Ausarbeitung einer Rede, welche die Bigotterie und den Geist der Parteinahme unter Philosophen, Politikern und Enthusiasten anklagen sollte. Jetzt, jetzt, jetzt – jetzt war der Moment, sich zu behaupten! Bald! Oder?
    Zu seinem Glück ging ihm noch vor dem Termin die Luft aus. Als er vor den Leuten stand, die ihn zumeist freundlich und erwartungsvoll ansahen, nachdem Tatum ihn als junges Talent vorgestellt hatte, das vor Euphorie berste, wischte er die dunklen
Gedanken weg, oder sie brachen in sich zusammen, und er demonstrierte nur, wie ein Funke durch einen Stapel Papier schlug, er legte an seinen Körper Spannung an, um Muskelzuckungen zu provozieren. Zu diesen Demonstrationen stürzten Erklärungen in einem Tempo aus seinem Mund, dass er selbst kaum folgen konnte und erstaunt war, nach wenigen Minuten fertig zu sein. Er sah ratlos ins Publikum. Er überlegte kurz, ging aber nicht so weit, die Selbstexperimente eines Alessandro Volta zu wiederholen, der auch Strom in seine Ohren geleitet hatte und auf seine Zunge. Faraday berichtete nur davon. Eine Demonstration sei überflüssig, erklärte er ein wenig gelassener, man würde schließlich nicht sehen können, was passierte.
    »Und nur«, fügte er zum Schluss mit einem unbeabsichtigten Schuss Garstigkeit an, »was man sehen oder anfassen kann, zählt.« Er wurde richtig laut und hob sogar den Finger: »Nur, was überprüfbar ist: nur die Fakten!«
    Tatum griff sofort ein. Er dankte dem »jungen Mann« warmherzig.
    Das Publikum lockerte sich. Tatum wartete mit neuesten Erkenntnissen aus der Elektrochemie auf. Faraday, der jetzt abgespannt auf seinem Platz saß, brauchte eine halbe Stunde, bis er sich wieder auf etwas konzentrieren konnte. Er bemerkte, dass er nur wusste, was im Artikel der Enzyklopädie stand. Mehr nicht. Das meiste von dem, was Tatum erzählte, war ihm fremd. Noch auf dem Heimweg machte er deshalb einen Umweg über Riebau, der mit seinen Freunden im Buchladen saß und trank und darüber debattierte, dass Buonaparte heirate, nun österreichisch heirate, da der Zar die Hand seiner Tochter verweigert hatte.
    Faraday stellte fest, dass der Artikel der Enzyklopädie aus dem Jahr 1797 stammte. Sein Wissen war überholt. Hatte Tatum nicht auch sehr milde gelächelt? Faraday wusste nicht, ob er sich das einbildete.
    Mit dem Schulterklopfer und munteren Worten Riebaus, auch mit dem in seiner Erinnerung schon verblassenden Zuspruch Tatums ging Faraday still nach Hause. Er verbrachte eine zerwühlte Nacht, in der er lange hin- und herrollte wie eine falsche Perle in der Schachtel, die er als Junge in der Hosentasche getragen hatte. Irgendwann kam der Schlaf. Am nächsten Morgen wachte er als jemand auf, der einen Anfang gemacht hatte. Es war ihm nicht gänzlich misslungen.
    Er band Bücher. Man erzählte sich, Buonaparte sei in Flushing gesehen worden, von der holländischen Insel Cadsand kommend, und habe sich also zum ersten Mal dem Element anvertraut, das die Engländer seit seiner Flucht aus Ägypten dominierten. Die von englischen Geschossen im Vorjahr in der

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