Die Entdeckung des Lichts
voneinander unabhängigen Grundrichtungen der Fläche.«
Von senkrechten Schnittlinien durchtrennte Kreise hatten sie am häufigsten gesehen.
»Ich dachte, eine Fläche besteht aus Breite und Tiefe.«
»Ist dasselbe, immer zwei Richtungen, die senkrecht zueinander sind, egal welche.«
Sie dachte nicht daran, weiterzufragen, dazu war die Sache zu unwichtig: »Auf jeden Fall sind es Harmonien.«
»Was?«
»Die Töne wie die Bilder.«
Er nickte, sie bogen gerade vom Piccadilly in die Albemarle Street ein, und er hatte die Eisenspäne vor Augen, die Kreise und Ovale bildeten, konkave und konvexe Linien. Unterm Dach angekommen bereitete sie einen Tee zu, während Faraday aus dem Fenster sah, als ein Wagen aus dem östlichen Teil der Stafford Street einbog und langsam näher kam. Die Straße war mittlerweile gepflastert worden. Der Wagen hatte Bierfässer geladen, auf denen Regenwasser stand. Durch die regelmäßigen Schläge des Pflasters auf die Eisenfelgen bildeten sich Ringwellen, die das Licht der Gaslampen reflektierten. Sie glichen nicht nur den einfachsten Figuren von Wheatstone. In der Mitte liefen die Wellenberge aufeinander zu, dort spritzte immer wieder eine kleine Fontäne auf.
»Die Ringe«, fand Faraday still, »sind die Bahn, auf der sich der Draht mittels Strom im Magnetfeld bewegt.« Es waren Linien, dachte er, der Kraft. Radiale waren keine zu sehen.
Der Tee war fertig, und ohne viel Aufhebens zu machen, tranken die beiden Verschworenen ihn gemeinsam, bevor sie friedlich zu Bett gingen und in der erneuerten Überzeugung gut schliefen, mit der Welt sei etwas grundsätzlich in Ordnung.
4 Die zweite Erfüllung
Im Keller war Faraday weit davon entfernt, keinen Mut zu irgendwas zu haben. Der Keller war sein Fenster zur Welt, seiner Welt. Er war froh, dass es ein Keller war. Er stellte Platten auf, die er mit Sandkörnern bestreute, dann mit Bärlappsporen, die weniger träge waren. Er baute Wannen, in die er Wasser und Sand füllte oder Eiweiß. Er kaufte einen Geigenbogen. Von Februar bis in den Juli strich er damit Platten aus Holz und Blech an und ließ die Natur ihre Muster machen. Er wechselte zu Glasplatten, schüttete Milch darauf, stellte eine Kerze darunter und hielt ein Stück dünnes Papier darüber.
Unterm Dach legte er sich ins Bett, ein Tuch über den Augen, und hoffte etwas zu sehen oder einzuschlafen und aufzuwachen und plötzlich etwas zu wissen.
Wieder im Keller, hüpfte er um die Platten herum oder stürzte zu seinem Laborbuch: »Sie sind schön, wenn sie einfach sind.« Während er schrieb, erklärte er seinem Helfer Anderson: »Und die komplexen sind ebenso schön.«
Anderson stimmte zu.
Er tupfte einen Wassertropfen von unten an eine Glasplatte: Strich man sie mit dem Bogen an, verteilte sich das Wasser flacher an der Platte, statt sich noch mehr zu sammeln und abzutropfen. Kehrte wieder Ruhe in das Glas, sammelte sich der Tropfen durch Gravitation wie zuvor. Mit Öl wiederholt fand er, dass der Tropfen sich zu einer Linse verbreiterte. Eiweiß war noch klarer, von oben auf die Platte geschüttet schoss es gar in kleinen Fontänen hoch, wenn der Ton laut genug wurde. Hielt Anderson sich schon die Ohren zu, bildete es Eischaum.
»Die Vorstellung von hin- und hergehenden Wellen«, hielt Faraday als zweiundzwanzigsten Punkt der Reihe fest, »gewinnt in meiner Vorstellung Raum.«
Er schickte Anderson los, die Arbeiten von Robert Brown zu kopieren: Ein schottischer Botaniker, der vor Kurzem unter seinem Mikroskop entdeckt hatte, dass Pollen in Wasser zitterten, sich ständig bewegten. War alles ständig in Bewegung und Vibration, stießen Teilchen einander an und transportierten Wellen? Vielleicht war Ruhe nur eine Form von Ignoranz, jedenfalls war Wärme offenbar Vibration.
Quecksilber, Terpentin, Tinte und Alkohol schüttete er in die Wannen. Das Laborbuch lernte die Muster als wunderbar, hübsch und zufriedenstellend kennen. Magnesium, Rost, rotes Blei eigneten sich nicht. Er füllte ein Einweckglas mit Wasser und rieb mit feuchtem Finger über den Rand, dass ein Ton entstand, die Wellenbilder fand er »sehr gut«.
Klagen schrieb er keine nieder, nur die Feststellung, die Arbeit strenge ihn an, er benötige Pausen. Im Juni ließ er Phillips wissen, das Gedächtnis werde von Tag zu Tag schlechter. Faraday war vierzig Jahre alt. Einladungen beantwortete er nun immer mit der Bemerkung, er sei kein sozialer Mensch, und: »Niemals diniere ich außer Haus.«
Sarah fand es
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