Die Entdeckung des Lichts
Sklavisch dachte er an Neapel, an den Blick auf den Vesuv und jenen vom Vesuv hinunter in den Golf. Durch den Winter schleppte er sich, nur dessen Ende vor Augen. Schreiben machte außerordentliche Mühe: »War das der Kopf oder die Hände oder die Verbindung zwischen beiden?«
Seiner ebenfalls kranken Mutter versprach er den Sommer lang, sie besuchen zu kommen. Sie starb im Herbst, ohne ihn gesehen oder gesprochen, seine Stimme noch einmal gehört, seine Hand noch einmal in ihrer gehabt oder seinen Blick noch ein letztes Mal auf sich ruhen gespürt zu haben. Den präsidialen Vorsitz der Jahreshauptversammlung seiner Royal Society absolvierte er gebeugt, zitternd, stotternd, fahrig und fürchterlich schlecht gelaunt. Seine verbliebenen Freunde glaubten, jede nächste Anstrengung würde einen Hirnschlag zur Folge haben. Die Presse hielt man von ihm fern. Zum Abendessen erschien er nicht, und wenige Wochen danach war es so weit: Die rechte Hand und das rechte Bein gehorchten nicht mehr. Die Ärzte empfahlen, warum auch immer, die Londoner Gesellschaft schleunigst zu verlassen.
Mit seinem Bruder John reiste er bei bissigem Winterwetter und mit immer häufigeren Herzschmerzen auf den Kontinent, an Paris ohne Halt vorbei.
»Der Sonne entgegen«, sagte er kraftlos, in mehrere Mäntel und Schals gewickelt, und lächelte orientierungslos seinen Bruder an, der versuchte, die Fassung zu bewahren.
Oft blieben sie in Fahrrinnen stecken, und der Kutscher hatte halbe Tage zu tun, während Sir Humphry neben dem Wagen im Frost döste. Wenn er im Fahren einschlief, träumte er von Hunden, von einer Horde bellender, sabbernder neapolitanischer Straßenköter, die seine Vorlesung stürmten, Apparate und Glasschalen umwarfen, ihn am Arm packten und schon auf das Publikum losgingen. Einmal brach in diesem Moment die Achse des Wagens, und der Professor rammte seinen Kopf an den Haltebügel. John versorgte liebevoll die Wunde, die viele Wochen lang nicht heilen wollte, während Lord Byron als griechischer Revolutionär nach einer Infektion in Fieberschüben und einer Schweißlache starb und Faraday in London in der für seine Lebenseinstellung noch immer typischen Art der Exklamation in ein Notizbuch schrieb: »Mache aus Magnetismus Strom!«
Dass er das zu gleichen Teilen um des nutzvollen Stroms und um des Verstehens willen tun musste, war keine Frage. Dass auch Licht mit Strom und Magnetismus zu tun hatte, wusste er zwar aus Rom, aber vor allem, weil es anders sowieso nicht sein konnte. Er zweifelte nicht an der Schöpfung und auch nicht an Gottes Bereitschaft, sie zu zeigen. Nur »ob ich die Vereinigung noch selbst sehen darf«, war die Frage, die ihn beschäftigte.
3 Harmonien
Noch mit der Unterstützung von Davy zum Labordirektor der Institution ernannt, war Faraday auch Sekretär des Athenaeum Clubs , der sich der wissenschaftlichen und literarischen Intelligenz verschrieben hatte. Eine Zeitverschwendung, fand er und trat schnell zurück. Ewig untersuchte er für die Royal Society Glas. Der Versuch, bei der Herstellung von hochwertigem, farbneutralem Glas die Deutschen, die neuerdings die besten Linsen machten, wieder abzulösen, war ein Auftrag, der Geld brachte. Alle fanden es eine angemessene Arbeit. Niemand hatte überlegt, wie lange es dauern konnte, kaum Ergebnisse zutage zu fördern, und allgemein war man erstaunt, als Faraday nach sechs Jahren des Probierens keinen Wutausbruch scheute, auch schriftlich nicht, wenn er nur darauf angesprochen wurde.
Davy war nicht mehr bis Neapel gekommen. Den ersten Winter hatte er in Norditalien, den Sommer in Bayern, Baden und Mainz verbracht, allein, da sein Bruder auf Korfu zu arbeiten hatte. An seine Frau schrieb er, er hoffe, sie sei bei guter Gesundheit. Er selbst sei offenbar am Ende angelangt und: »Kämst du, so hülfe es, aber zumuten möchte ich es dir nicht.«
Im Herbst schaffte er es zurück bis London, wo er alle mit den Worten begrüßte: »Hier bin ich, das ist der Rest von mir.«
Binnen weniger Tage sprach er jeden, der jemals zum Nervensystem publiziert oder sich sonst wie auf dem Gebiet hervorgetan hatte. Als hätten sie sich abgesprochen, sagten alle dasselbe: »Mach Pause. Noch mindestens ein Jahr.«
»Was mich angeht«, ließ er im Winter seinen Freund Poole wissen, »ich will nicht leben, wenn Gott nicht noch etwas Nützliches in der Wissenschaft mit mir vorhat.«
Er hatte es nicht. Sir Humphry fuhr erneut nach Italien und kam noch einmal bis Rom. Dort
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