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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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Armee«, wie Sarah am Abendtisch unruhig berichtete. Sie war noch immer ohne Kind. Die Russen konnten wegen der Cholera den polnischen Aufstand nicht niederschlagen. Und auch unter den Polen, die aufgegebene Posten der Russen übernahmen, grassierte jetzt die Seuche. Die Berichterstatter korrigierten die Zahlen meist noch im selben Brief: »Nein, es waren doch nicht zwölf Soldaten, die seit gestern Abend erkrankten, sondern siebenundzwanzig. Gestorben sind davon bis jetzt nicht fünf, sondern neun.« Ein jeder mit spitzer Nase, die aus dem entwässerten Rest seines Gesichtes stach wie die letzte Empörung.
    Nach Polen könne man von Dover aus ja wirklich nicht hinübersehen, meinte Faraday, »und die Bestimmungen der Quarantäne für Schiffe aus Indien sind streng.« Anders wollte er es nicht denken.
    »Da sie von den Dämpfen übertragen wird«, fürchtete Sarah, »kann man sie vielleicht gar nicht aufhalten.«
    Faraday glaubte das nicht und wandte sich schnell der Akustik zu.
    »Wheatstone hat uns eingeladen«, freute er sich für sich und für Sarah, die sich wunderte. Er ging ja nie in Gesellschaften, und sie hatte sich daran gewöhnt.
    »Er hat ein Konzert organisiert.«
    »Wheatstone.« Sie machte sich lustig.
    »Es ist ein Experiment.«
    Darauf wäre sie von alleine nie gekommen, sagte sie und behielt für sich, dass sie auch gern mal wieder in ein ganz normales Konzert gegangen wäre. Aber man nimmt in bestimmten Situationen, was man kriegt, selbst wenn diese ein Leben dauern, und als sie am Samstag drauf gut gekleidet aufbrachen, freute sie sich. Kuhlau und Weber standen auf dem Programm.
    Das Haus lag im Osten der Stadt, was überraschte, und dann stellte sich heraus, es war eine Art Lagerhalle. Als sie den großen flachen Raum im Parterre betraten, erklärte sich das. Man hatte die Bestuhlung auf ein nach hinten ansteigendes Podest gestellt, vor dem eine Unzahl Holzplatten waagerecht aufgestellt waren. Jede von ihnen trug auf einem Kärtchen aus Pappe die Bezeichnung eines Instrumentes. Die Faradays gingen näher hin. Sand war auf jede Platte gestreut. Und jede von ihnen war mit einer straff gespannten Schnur verbunden, die senkrecht nach oben und durch die Decke führte. Sarah sah ihren Mann an, enttäuscht und ratlos.
    »Die Musiker sind oben«, sagte er äußerst zufrieden, »wir werden die Musik nicht hören, sondern sehen.«
    Die Enttäuschung milderte das gar nicht, was ihrem Mann entging. Wheatstone kam, sodass sie keine Gelegenheit zum Protest hatte. Er begrüßte beide mit überschießender Freude. Dann erklärte er den Aufbau und strich hier und dort mit einem Holz die dünne Schicht Sand auf einer der Platten liebevoll glatt. Anschließend klatschte er in die Hände und hielt eine ungelenke, sehr kurze, stotternde Einführung für das Publikum, bei der er errötete und schließlich sehr froh war, sie beendet zu haben.
    »Er macht das nicht gerne«, sagte Faraday.
    Sarah wusste nicht, was er meinte.
    »Vor Leuten sprechen.«
    Sarah nickte aus Höflichkeit oder aus Überforderung oder automatisch und presste die Lippen zusammen, die Musik setzte auch schon ein. Zu ihrem Glück hörte man doch reichlich Töne, wenn auch mehr die tiefen als die hohen. Vor allem aber sah man, wie sich auf den Platten die Vibrationen in Muster übersetzten, die sich je nach Ton in den Sand schrieben und veränderten. Faraday war so glücklich, wie Sarah das von ihm kannte, aber neu war die Deutlichkeit, mit der sie das Gefühl verspürte, ein Kind neben sich sitzen zu haben. Es war nicht unangenehm. Sie lächelte ihn an, sodass er glaubte, sie freue sich. Er dachte daran, wie sie es damals in Ramsgate in der Mühle nicht hatte tun können und dann beim Jawort nachholte. Alles war gut, dachte sie, irgendwie. Was sollte sie anderes denken, in einer Lagerhalle sitzend und Kuhlau zwar nicht richtig hörend, aber richtig sehend. Einmal riss eine Schnur, und auf der Platte blieb das zuletzt gezeigte Muster stehen, bis Wheatstone zwischen zwei Stücken den Schaden reparierte.
    Auf dem Rückweg erklärte Faraday seiner Frau voller Enthusiasmus, was sie gesehen hatten, bis sie sanft sagte: »Michael, ich war auch dabei und habe es selbst gesehen.« Dazu nahm sie, ob sie es bemerkte oder nicht, seine Hand fester in ihre.
    »Manchmal sahen die Figuren aus wie Eisblumen«, fand sie in die Stille hinein, und Faraday gab ihr sofort Recht: »Weil auch die natürlich aus Kreisen und Radialen zusammengesetzt sind, den beiden

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