Die Entdeckung des Lichts
überhaupt nicht komisch, dass er den seit Langem geplanten Urlaub in Hastings verschieben wollte. Am Nachmittag war er mit der Idee plötzlich oben in der Wohnung erschienen. Sie hatte gerade die Sachen zu packen begonnen, für den nächsten Morgen waren Plätze in der frühen Kutsche von Charing Cross nicht nur reserviert, sondern auch schon bezahlt. Sie machte es ihm aber ganz einfach, denn »darüber«, gab sie ihm zur Kenntnis, »diskutiere ich nicht«.
Dunst lag über London, als die Faradays das Haus verließen, und da die Sonne noch nicht aufgegangen war, brach sich nur der rote Anteil ihres Lichts bis in die Stadt. Anderson war extra in der Frühe gekommen, um beim Tragen zu helfen und gute Erholung zu wünschen. Er solle im Keller alles so lassen, wie es war, bestimmte Faraday: »Bitte nichts anfassen.«
Wie immer stieg er auf den Kutschbock, das hatte sich seit der Europareise nicht verändert. Als sie die ersten Wiesen erreichten, war das Licht voll entfaltet, nun war oben nur noch Blau, das Rot ging rechts und links am Erdball vorbei ins Universum. Wann der nächste Moment käme, in dem er etwas gezeigt bekäme, fragte Faraday sich. Dieses Mal war er nicht aufgeregt, oder nicht so wie beim ersten Mal. Er wollte den Moment als Genießer nehmen, wenn er denn käme. Seine Hand lag auf der Ledertasche mit dem Labortagebuch, das vor Beobachtungen platzte.
Der Eintrag vom 19. April war besonders: Auf dem Rückweg von Woolwich abends um zehn hatte Faraday ein Polarlicht gesehen. »Es kann keinen Zweifel darüber geben«, sagte seine Handschrift und meinte den Einfluss des Lichtes auf das Erdmagnetfeld. Während der Erscheinung war Faraday flugs bei Samuel Hunter Christie eingekehrt, dem zweiten Mathematiker der Akademie. Er besaß eine Magnetnadel, die, solange das Licht sich am Himmel zeigte, eine Abweichung von über zwanzig Grad aufwies und beim Erlöschen des Lichtes wieder in die Ausgangslage zurückgekehrt war. Zwanzig Grad konnten kein Messfehler sein, zum Zweifeln blieb kein Grund.
»Licht ist magnetisch«, sagte er im Schaukeln und Stoßen der Kutsche immer wieder still vor sich hin und wartete, dass ein Widerspruch aus einem Winkel seines Geistes herausgeschüttelt würde. Es kam keiner. Er wartete, dass sein Verstand ihn auslachte. Er lachte nicht. Ein Teil des großen Ganzen war Licht, genau wie er und der Kutscher und die beiden gutmütigen, ungebürsteten, dampfenden Pferde, auf die er zufrieden blickte, auch wenn sie kein Magnetfeld beeinflussten. Jedenfalls nicht messbar. Noch nicht messbar jedenfalls.
Aus dem Augenwinkel betrachtete er den Kutscher, der sich über die Zügel, die Deichsel, die Radlager, Speichen, Felgen, die Aufhängung, über die Eisen und das Wohlergehen der Pferde hinaus keine Gedanken zu machen schien. Für ihn war es auch selbstverständlich, dass alles hier nach immer gleichen Gesetzen funktionierte, selbstverständlicher als für Faraday sogar. Von Eisenspänen wusste der Kutscher garantiert nichts, aber was wollten die Späne ihm, Faraday, sagen, wenn sie sich in regelmäßige Bilder um den Magneten fügten? Die einfachste Annahme war, dass dahinter Wellen steckten. Anzunehmen, dass keine Wellen hinter den geometrischen Figuren steckten, wäre aufwendig. Nicht nur Davy hätte ihn für verrückt erklärt.
Die Stöße der Kutsche waren angenehm. Er hatte in den zurückliegenden zehn Jahren Licht mit Strom zu beeinflussen und Strom aus Licht zu gewinnen versucht, indem er es auf eine Kupferplatte fallen ließ: Mal das ganze Spektrum, mal einzelne Farben, mal die Platte an der Luft, mal unter Säure haltend. Hätte er statt Säure elektrische Spannung genommen, man hätte Albert Einstein kaum vom Studium der Physik abgeraten. Der Zufall zeigte sich aber selbstverliebt, er nahm sich Zeit: Sechs Jahre lagen allein zwischen diesen beiden erfolglosen Versuchen. Vor drei Monaten hatte Faraday versucht, Strom aus Hitze zu machen: negativ. Hitze machte oft Licht, wenn Metall glühte oder ein Funke durch die Luft schlug.
Sehr unübersichtlich.
In Hastings redete Faraday wenig und wirkte nicht unfroh. Punkt einhundertsechsundvierzig im Laborbuch kam auf die Rillen im Sand zurück, die seinem Geist schon einmal Asyl gewährt hatten, damals ein improvisiertes, diesmal ein fruchtbares, vielleicht, weil alles in seinem Leben darauf hinauslief: »Sie stammen vom Wind«, fand er nun heraus, »der auf das Wasser bläst, wenn es flach auf dem Sand steht. Die Rillen im Sand sind
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