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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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hinhielten.
    »Das steht Ihnen frei«, bestätigte Mr Reardon, »aber Sie sollten sich Ihre Schritte sehr genau überlegen. Manche Dinge haben . . . gewisse Konsequenzen. Ich
glaube
, dass die Papiere Ihres Sohnes in Ordnung sind, aber falls wir gezwungen sein sollten, seinen Fall noch einmal aufzurollen, könnten wir unglückliche Diskrepanzen entdecken. Haben Sie von dem venezolanischenJungen gehört, der kürzlich ausgewiesen wurde? Er war erst siebzehn und hat sein ganzes Leben in den USA verbracht, wenn man von den ersten drei Monaten absieht. Er konnte nicht einmal Spanisch, aber . . .«, wieder ein achtloses Schulterzucken, ». . . er hielt sich nicht legal hier auf. Ich bin sicher, er wird in Venezuela irgendwie über die Runden kommen.«
    »Wollen Sie uns drohen?«, fragte Mom mit schriller, unnatürlicher Stimme, die Jonas, wie er mit Sicherheit wusste, bei ihr noch nie gehört hatte. Ihr Händedruck wurde fester. Jonas musste daran denken, wie oft sie ihm als kleinem Jungen die Hand gegeben hatte, damit er sie drücken konnte, wenn er eine Spritze bekam, oder als man ihm einmal mit sechzehn Stichen das Knie nähen musste. Jetzt drückte sie seine Hand genauso fest. »Sie können ihn uns nicht wegnehmen. Das würden wir nie zulassen. Er ist unser Sohn!«
    »Ist er das?«, fragte Mr Reardon. »Was ist, wenn sich seine echten Eltern melden würden, wo immer sie auch sein mögen? Was wäre, wenn sie ihre Geschichte erzählen würden? ›Unser Sohn, der uns gestohlen wurde . . .!‹«
    Jonas wollte Mr Reardon korrigieren, wie er es bei Chip getan hatte: Sie meinen die leiblichen Eltern. Meine echten Eltern sind Mom und Dad. »Sie . . .«, setzte er an. Doch in diesem Moment revoltierte sein Magen. »Toilette«, ächzte er stattdessen und verzog das Gesicht. »Ich muss zur . . .«
    »Herrgott noch mal!«, schimpfte Mr Reardon, währendMom im gleichen Moment, aber mit deutlich mehr Anteilnahme, hervorstieß: »Ach, Jonas, vielleicht kannst du den Mülleimer . . .«
    Mr Reardon reagierte, als käme die Vorstellung, ein Junge könnte sich in seinem Büro übergeben, für ihn einer Art Folter gleich. Er sprang auf, lief zur Tür und riss sie auf. »Da lang!«, sagte er und wies den Gang entlang. »Die vierte Tür auf der rechten Seite. Beeil dich!«
    Die Hand auf den Bauch gepresst, lief Jonas los. Der Gang kam ihm noch länger vor als zuvor. Er begann zu würgen. Zweite Tür. Dritte Tür. Hier ist es, gerade noch rechtzeitig.
    Er taumelte in die Dunkelheit, tastete nach dem Lichtschalter und stürzte in eine Kabine. Das gesamte
Mountain Dew
kam wieder herauf, zusammen mit – egal, sagte sich Jonas. Denk lieber nicht darüber nach, was du zu Mittag gegessen hast.
    Dann war es vorüber. Elend lehnte er den Kopf an die kühle Metallwand.
    »Tut mir leid«, sagte jemand hinter ihm. »Schlecht werden sollte dir davon nicht.«

Zehn
    Jonas wirbelte herum, so gut es jemand vermochte, der sich noch vor drei Sekunden übergeben hatte. Ein Mann in einem grauen Sweatshirt mit dem Aufdruck
Wartungs- & Reinigungsservice
lehnte an der Kachelwand, aber es war nicht der gleiche Hausmeister, der Jonas das
Mountain Dew
gegeben hatte. Der war älter und fülliger gewesen. Dieser hier war jünger und sah irgendwie gar nicht aus wie ein Hausmeister.
    »Wir mussten hier viel zu viel improvisieren. Wir haben uns einfach gedacht, mit einem halben Liter
Mountain Dew
im Bauch müsstest du irgendwann aus dem Büro kommen und zur Toilette gehen«, sagte der Mann. »Damit wir dich allein erwischen.«
    Jonas begriff, dass er in der Toilettenkabine praktisch gefangen saß. Um herauszukommen, musste er direkt an dem Mann vorbei. War dieser Tag denn noch nicht schrecklich genug? Er sah flüchtig nach unten. Wenn er schnell genug war, konnte er vielleicht in die Nachbarkabine hinüberrollen und es zur Tür schaffen, ehe der Mann begriff, was vor sich ging.
    Der Mann folgte seinem Blick.
    »So war das nicht gemeint!«, sagte er und hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte dir nur etwas sagen.«
    »Was denn?«, fragte Jonas misstrauisch. Vielleicht konnte er dem Mann die Kabinentür ins Gesicht schlagen oder auf die Toilette springen und sich an den Wänden festhalten, um mit den Füßen richtig auszuholen, vielleicht . . .
    »Wenn du in Mr Reardons Büro zurückgehst«, sagte der Mann hastig, als fürchte er, dass ihm die Zeit knapp werden könnte, »versuch, einen Blick in die Akte zu werfen, die auf seinem Tisch liegt. Merk dir so viele

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