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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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Reardon fort, »wird dieser Schmuggelring also immer gieriger. Sie gehen zu viele Risiken ein und werden erwischt. So ergeht es am Ende allen. Es ist ein Riesenschlamassel, für die Regierungen ebenso wie für die betroffenen Behörden. Liefert man die Schmuggler aus? Deportiert man die Babys? Das wäre vermutlich richtig, nicht?« Er sah Jonas jetzt direkt in die Augen.
» Ausliefern
und
deportieren
bedeutet übrigens
zurückschicken

    Katherine schnappte nach Luft.
    Jonas’ Magen revoltierte immer noch und ihm war nach wie vor schwindelig. Aber Katherines Erschrecken war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er hatte die Nase voll davon, dazusitzen und mit anzuhören, wie Mr Reardon seine Familie mit all diesen »Theorien« schikanierte, mit seinem höhnischen Lächeln, seinem Grinsen und dem freudlosen Lachen. Er verabscheute die Art und Weise, wie sich seine Elternängstlich an den Händen hielten, und sogar die Art und Weise, wie Katherine die Farbe aus dem Gesicht wich. Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, die Sache zu beschleunigen, würden ihn Magenschmerzen und Schwindelgefühle nicht davon abhalten.
    »Welches Land war es?«, fragte er.
    »Wie bitte?«, fragte Mr Reardon.
    »Welches Land?«, wiederholte Jonas. »Ich weiß, worauf Sie mit alldem hinauswollen. Irgendein Schmuggelring hat mich in die Vereinigten Staaten gebracht, die Regierung hat den Schmuggelring auffliegen lassen, Sie haben mich einer regulären Adoptionsagentur übergeben und so haben Mom und Dad mich bekommen. Ich bin wirklich froh, dass sie mich nicht zurückgeschickt haben, falls es sich um eines dieser Länder handelt, in denen die Leute von fünf Dollar im Jahr leben müssen. Aber es wäre trotzdem schön, zu wissen, woher ich komme. Einfach so, nur um es zu wissen.«
    Jonas staunte selbst darüber, wie ruhig er sich anhörte. Wen kümmert es schon?, dachte er. Er hatte immer gewusst, dass seine DNA von Fremden stammte; spielte es da eine Rolle, ob sie von Fremden aus Bangladesch, Äthiopien oder China kam statt aus Kansas, Kentucky oder Maine?
    Jonas betrachtete für einen kurzen Moment seinen Arm: blasse Haut, hellbraune Härchen, hin und wieder eine Sommersprosse. Okay, vermutlich kam er nichtaus Bangladesch, Äthiopien oder China. In welchem armen Land lebten Leute, die so aussahen wie er?
    Es wäre schön, das zu wissen.
    »Bedaure«, sagte Mr Reardon der überhaupt nicht bedauernd klang. »Das sind Informationen, deren Herausgabe mir nicht gestattet ist.«
    »Und wem ist es dann gestattet?«
    Mr Reardon zuckte die Achseln.
    »Niemandem.«
    Es spielt keine Rolle, dachte Jonas. Es ist mir egal. Doch das stimmte nicht. Das Zimmer schien sich um ihn herum zu drehen, das Zimmer voller Lügen, Mr Reardons ausgesprochenen und seinen, Jonas’, gedachten Lügen. Er schüttelte benommen den Kopf. Mom streckte den Arm aus und legte ihre Hand auf seine, so wie sie es auch bei Dad gemacht hatte.
    Jonas schob sie nicht fort.
    »Ich finde«, sagte Dad gedehnt, »dass die Frage meines Sohnes völlig berechtigt ist.« Jonas war erleichtert, dass sich sein Vater anscheinend beruhigt oder zumindest besser unter Kontrolle hatte. »Mir ist nicht ganz klar, was diese Geheimniskrämerei soll. Ist es denn nicht im Interesse der Behörden, umfangreiche Festnahmen publik zu machen? Und ist die Zerschlagung von Schmuggelringen kein Gegenstand des öffentlichen Interesses?«
    »Nicht immer«, sagte Mr Reardon. »Häufig haben wir gewichtige Gründe dafür, solche Informationengeheim zu halten. Und diese Gründe kann ich Ihnen nicht nennen, ohne geheime Informationen preiszugeben. Ein ziemliches Dilemma, finden Sie nicht?«
    Dad und Mr Reardon schienen sich mit Blicken niederringen zu wollen.
    »Soweit ich weiß«, sagte Dad, »gibt es Mittel und Wege, wie amerikanische Staatsbürger die Herausgabe von Informationen erzwingen können, die ihrer Meinung nach publik gemacht werden sollten. Meine Frau und ich könnten einen offiziellen Antrag zur Offenlegung von Informationen stellen. Wir könnten klagen, wenn es sein muss. Und im Interesse unseres Sohnes würden wir das tun.«
    Dad musste dabei nicht ein Mal blinzeln – Mr Reardon allerdings auch nicht.
    Jonas dagegen schon. Er machte ein ganz verkniffenes Gesicht, so sehr war er bemüht, alles mitzubekommen. Drohte Dad mit einer Klage? Seine Eltern gehörten nicht zu den Menschen, die ständig irgendwelche Prozesse anzettelten. Sie gehörten eher zu denen, die auch die andere Wange

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